Haben Tänzer hässliche Füße? Das Gerücht hält sich jedenfalls hartnäckig, und wer einmal die Füße eines Stars wie Kang Sue Jin vom Stuttgarter Staatstheater aus der Nähe gesehen hat, der fühlt sich in seinem Vorurteil bestätigt. Mit ihren verbogenen Zehen, den eingedrückten Nägeln und der mächtigen Hornhaut fühlen sich Journalisten eher an Baumwurzeln denn an Elfenschweife erinnert. Aber gewöhnlich sehen wir die Füße der Tänzer ja nur auf dem Parkett – wenn die Betreffenden denn überhaupt barfuß agieren –, und da ihre natürliche Aufgabe in der Bewegung besteht, können wir nie wirklich prüfen, ob sie nun schön oder hässlich sind, und wollen uns möglicherweise auch keiner Illusion berauben lassen.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Als die RuhrTriennale zusammen mit dem Berliner Maxim Gorki Theater die „Uraufführung“ von Günter Grass‘ „Die Blechtrommel“ ankündigte, kam aus Polen schnell Widerspruch. Bereits 2007 war dort der Jahrhundertroman in Anwesenheit des Autors auf die Bühne gekommen. Wer jetzt die Aufführung in der Bochumer Jahrhunderthalle sah, muss sich über den entgangenen Werbeeffekt nicht grämen.
Das Leben ist eine Kirche, der Glaube ein Putzlappen. Mit diesem Reini - gungs mittel hat der Klerus manch heimlichen Spermaflecken so lange entfernt, bis das rohe Holz unter dem heiligen Blattgold hervorlugte. Folgerichtig steht auf der Bühne im Mülheimer Theater an der Ruhr hinter dem pseudoromanischen Halbrundbogen ein roher Hackblock aus Holz als Zimmeraltar.
Alles beginnt mit einem Menschlein, auf dem alle herumtrampeln. Schauspieldirektor Kay Voges inszeniert Büchners „Woyzeck“. Beim Generationenwechsel rumorte es erst einmal in der Stadt, da der Düsseldorfer gleich das gesamte Ensemble austauschte. Damit hat Voges aber auch einen kompletten Umbruch in einem Haus geschaffen, das nicht nur unter enormen Kürzungen zu leiden hat, sondern auch neue Besucherschichten erreichen will. So entsteht beispielsweise in der Cafeteria im Schauspielfoyer derzeit das „Institut“, eine multimediale Rauminstallation, in der die Projektreihe „Stadt ohne Geld“ stattfinden wird, eine Kooperation mit den Wissenschaftlern des Instituts für urbane Krisenintervention (IfuK).
Sie sehen aus wie Hautpickel mit Stromleitung, kleben den Darstellern auf Stirn oder Wange, und man bemerkt sie meist erst, wenn sie nicht funktionieren. Mikroports gehören inzwischen zum Schauspieleralltag und beschleunigen den Vormarsch der Technik im Theater. Die Bühne als Bollwerk der Live-Ästhetik – das war einmal. Die Aufrüstung bei Bühnentechnik und Licht ist selbstverständlich; das Audiodesign, dessen sich die Industrie schon lange bedient, wird zunehmend auch für die Theaterregisseure zum willkommenen künstlerischen Ausdrucksmedium geworden.
Verknappungsphänomene
Ein Intendant geht ohne Reue, aber mit einer Träne in den Augenwinkeln. So richtig wohl fühlte sich Elmar Goerden auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses nicht, stand er da doch nicht als Regisseur, sondern als Schauspieler, der angestrengt versuchte, die Regieanweisungen von Marco Massafra umzusetzten. Der Text stammte von Justine el Corte, die das Stückchen „Am Ende – Ohne alles“ ausdrücklich für den Intendanten geschrieben hatte. Noch einmal zeigte der an zwei Tagen und in allen Spielstätten 27 Ur aufführungen. „Ohne Alles 3“ ist ein Festival aus der Not geboren. Im September 2006 brannte das Außen - lager des Theaters mit Bühnenbildern, Re - quisiten und Kostümen ab. Das Theater war in Gefahr, zum Spielzeitstart in gähnender Leere spielen zu müssen. Nun, soweit kam es damals glücklicherweise nicht, aber die Idee zu einem neuen Festival war geboren. Autoren liefern Minidramen mit maximal drei Personen, die Inszenierungen sollten spärlich, aber eben nicht ohne Witz sein.
Oral. Anal. Live gespritztes Sperma. Eine Stunde Pornografie ohne Text. Als Metapher einer Gesellschaft, in der ein Mensch zur Ware geworden ist. Ob als Sexobjekt oder Sklave in der Arbeitswelt. Freigesetze Tiere agieren so, deren Hackordnung Macht ist. Gesellschaftsanalyse ohne Worte nennt das der japanische Theaterperformer Daisuke Miura. „Yume no shiro“, das „Schloss der Träume“ bleibt beim „Theater der Welt“ – Festival sicherlich umstritten – im positiven Sinn. Überhaupt setzen die asiatischen Theater - macher die Knaller. Sei es das Kollektiv FaiFai mit seinem quietschbunten Knallpopdrama „My Name is I love you“, bei dem zwei Roboter, die in der Sexindustrie arbeiten, einem Technoboy den Kopf verdrehen. Alles auf neun Quadratmetern Bühnenfläche, alles ohne Netz und doppelten Boden, nur der Riesenpenis war hier allerdings aus Latex. Ihn konnte man aber hinterher im quietschbunten FaiFai-Shop erstehen. Oder sei es das Achtstunden- Opus „Memory“, ein Tanztheater von Wen Hui, Wu Wenguang, Feng Dehu aus Peking, die eine ziemlich anstrengende Reise durch die Geschichte der Kulturrevolution choreografierten.
Der rote Teppich ist ausgerollt, die Sponsorenwand aufgestellt, die Stars können kommen. Hinein in die kleinste Gala der Welt mit Musik von Puccini bis Reinhard Mey, von Barcarole bis Baccara. Hier kann es passieren, dass die Callas Konkurrenz bekommt, Karl Marx die Rolling Stones interpretiert und Michael Jackson seinen Tod überlebt.
Bühnenperformance. Rituale der Musik. Präsenz der Andersartigkeit. Das Format „Century of Song“ hat das musikalische Profil der RuhrTriennale entscheidend geprägt. Nach fast 50 Veranstaltungen über angloamerikanische Musiktraditionen kommt es nun zu Veränderungen im Konzept.
Tiefe Liebe steht für radikale Weltverbesserung – ein noch unbewiesener Tatbestand für ein friedliches Leben der Menschen auf diesem Planeten. Viele Religionen und spirituellen Lehren haben sich diese Vision auf die Fahnen geschrieben, verwirklicht hat sie noch niemand.
Schnöde Technik oder Magie?
„Oracle“ bei der Ruhrtriennale – Prolog 07/25
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Der verhüllte Picasso
„Lamentos“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 07/25
Von Shakespeare bis Biene Maja
Sommertheater in NRW – Prolog 06/25
Tanz als Protest
„Borda“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 06/25
„Das Publikum ist verjüngt und vielfältig“
Opernintendant Heribert Germeshausen zum Wagner-Kosmos in Dortmund – Interview 06/25
„Da werden auch die großen Fragen der Welt gestellt“
Kirstin Hess vom Jungen Schauspiel Düsseldorf über das 41. Westwind Festival – Premiere 06/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25
Das Vermächtnis bewahren
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Bühne 05/25
Rock mit Käfern, Spiel mit Reifen
41. Westwind Festival in Düsseldorf – Festival 05/25
Von und für Kinder
„Peter Pan“ am Theater Hagen – Prolog 05/25
„Der Zweifel als politische Waffe“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Premiere 05/25
Entmännlichung und Entfremdung
Festival Tanz NRW 2025 in Essen und anderen Städten – Tanz an der Ruhr 05/25
Von innerer Ruhe bis Endzeitstimmung
Die 50. Mülheimer Theatertagen – Prolog 04/25
Jenseits des männlichen Blicks
„Mother&Daughters“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 04/25
Gegen den ewigen Zweifel
Die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Prolog 04/25
„Kunst hat keine Farbe, Kunst ist Kunst“
Isabelle und Fabrice Tenembot vom Verein Afrikultur über das 4. Mboa-Festival in Dortmund – Interview 04/25
„Der Text hat viel mit heute zu tun“
Regisseurin Felicitas Brucker über „Trommeln in der Nacht“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 04/25
Das gefährliche Leben von Kindern
„Blindekuh mit dem Tod“ am Jungen Schauspiel in Düsseldorf – Prolog 03/25
Baum der Heilung
„Umuko“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 03/25
Tanzen bis zum Umfallen
46. Duisburger Akzente – Festival 03/25
Kabarett, Cochem-Style
„Zu viele Emotionen“ von Anna Piechotta in Bottrop – Bühne 03/25
Gewinnen um jeden Preis?
„Alle spielen“ im Studio des Dortmunder Theaters – Prolog 03/25
„Ich liebe die Deutungsoffenheit“
Regisseur Roland Schwab über „Parsifal“ am Essener Aalto-Theater – Interview 03/25
„Die Kraft des Buchs besteht in der Aufarbeitung“
Bettina Engelhardt inszeniert Bettina Flitners Roman „Meine Schwester“ am Essener Grillo-Theater – Premiere 03/25