Die Gunst des Publikums zu gewinnen, ist harte Arbeit. Vor allem, wenn es ein deutsches Publikum ist. Applaus gibt es hier selten auf Kredit. Wer ihn will, muss erstmal abliefern. Dabei ist es wichtig, sich das Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung nicht anmerken zu lassen. Auf der Bühne steht man, weil man nicht anders kann, als das Lied im eigenen Herzen in die Welt hinaus zu singen, nicht, weil es sich gut anfühlt, wenn das Lied Gefallen findet. Nicht mit Kabarettistin und Musikerin Anna Piechotta. Am 29. und 30. März ist sie neben dem Comedy-Duo Thekentrash und Kabarettistin Liza Koz im Bottroper Kammerkonzertsaal mit Auszügen ihres neuen Programms „Zu viel Emotionen“ zu Gast. Darin schlägt sie ihrem Publikum einen so ehrlichen wie selbstironischen Deal vor: Jubel und Applaus werden belohnt. Offene Kommunikation statt falscher Bescheidenheit. Singt ihren Namen! Sagt ihr, dass ihr sie liebt!
Dass Piechotta sich selbst nicht zu ernst nimmt, hat sie in vorherigen Programmen bereits bewiesen: Mit atemberaubendem Tempo wechselt sie die Rollen von der Chansonette, die sich nach der Liebe des Publikums zehrt, zur Komikerin mit einer Quote von etwa 10 falschen Schnurrbärten in unter fünf Minuten und wieder zurück. Was davon die „echte“ Piechotta ist, wäre die falsche Frage, denn sie ist beides, die Diva mit der Wahnsinnsstimme und die Frau im Einhornkostüm. „Ich liebe es, ein tolles Abendkleid anzuziehen“, erklärt sie, „aber diese Brüche mit Mut zur Hässlichkeit machen vieles spannender. So viele Dinge im Leben sind schön und hässlich zugleich, ich mag es, damit zu spielen.“ Die Lust am Widerspruch prägt auch ihre Lieder: feinsinniger, melancholischer Humor über Weltschmerz und Muttersein gehören genauso dazu wie eine Reggae-Nummer übers Kiffen oder eine absurde Ballade über Dostojewskis totes Hausfrettchen.
Ob es Abstand vom kosmopolitischen Kunstmilieu braucht, um diese Reflexionsebenen zu öffnen? Immerhin befasst sich Piechotta im neuen Programm auch mit ihrer Wahlheimat Cochem, über die sie u.a. ein Lied geschrieben hat: „Am Anfang habe ich da sehr mit gehadert, weil mir der kreative Input gefehlt hat. Meinen Frieden damit habe ich gefunden, als ich mir die Aufgabe gestellt habe, selbst der Input zu sein“, sagt sie und erzählt mit Begeisterung von ihrem zweiten Leben als Musiklehrerin.
Anna Piechotta bei Comedy im Saal | 29., 30.3. | Kammerkonzertsaal, Bottrop | www.comedyimsaal.de
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