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Olaf Kröck
Foto (Ausschnitt): Sofia Brandes

„Der Zweifel als politische Waffe“

30. April 2025

Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Premiere 05/25

Am 1. Mai wird die diesjährige Ausgabe unter dem Motto „Zweifel und Zusammenhalt“ mit einem Volksfest auf dem Grünen Hügel eröffnet.

trailer: Herr Kröck, die Gewerkschaften fordern zum Tag der Arbeit: „Mach dich stark!“ Das alte Abkommen „Kunst gegen Kohle“ scheint nicht mehr zu gelten?

Olaf Kröck: „Kunst gegen Kohle“ ist ganz sicher kein archäologischer Faktor. Die dahinterstehende Idee war von Anfang an ein Ausdruck von Austausch und Solidarität – und gerade jetzt ist es wichtiger denn je, diese Solidarität sichtbar zu machen. Wenn aktuell, etwa aus den USA, Empathie und Mitgefühl plötzlich als menschliche Schwächen dargestellt werden, ist das ein direkter Angriff auf die Demokratie. Der Anspruch der Ruhrfestspiele war immer, Empathie zu zeigen – und denen eine Bühne zu geben, die sonst nicht im Licht stehen. Und das mit den Mitteln der Kunst. Gerade deshalb sind die Ruhrfestspiele und ihre Konzeption im Moment vielleicht wichtiger denn je. Das heißt aber nicht, dass wir als Künstler:innen unsere Rolle überschätzen. Wir sind nur ein kleines Stellrad im Getriebe der Demokratie – aber eben ein wichtiges. Eines, das dabei helfen kann, Identität zu stiften und zu zeigen, dass Zusammenhalt möglich ist.

Wie passt das weltweite ökonomische Beben zum Motto „Zweifel und Zusammenhalt“?

Ich finde, es passt auf eine erschütternde Weise. Zweifel bedeutet ja immer, Dinge infrage zu stellen, die vermeintlich sicher oder unumstößlich sind. Im Fall des aktuellen ökonomischen Bebens muss man kaum noch zweifeln – die Auslöser erscheinen auf bedrückende Weise offensichtlich. Genau darin liegt aber auch die Problematik des Zweifels: Er kann als politische Waffe missbraucht werden. Das hat insbesondere die neue Rechte – nicht nur in den USA – erkannt und setzt einen übersteigerten, destruktiven Zweifel gezielt ein, um zu diffamieren, zu diskreditieren und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben. Dass sie sich dabei letztlich selbst mit in den Abgrund reißen, ist vielleicht die logische Konsequenz. 

Da hilft auch kein „Partei ergreifen“ (eine Diskussionsreihe der Ruhrfestspiele, Anm. d. Red.) mehr.

Doch, genau darum geht es bei unserer Diskussionsreihe „Partei ergreifen“. Eine der Veranstaltungen widmet sich der Frage, wie Kunst heute noch aktiv in die Demokratie hineinwirken kann. Dabei geht es auch um die immer wieder kontrovers diskutierte Frage: Soll man mit Rechten reden – und wenn ja, mit welchem Ziel? Was bewirkt der Diskurs mit dem Rechtsradikalismus überhaupt? Ein anderes Thema innerhalb von „Partei ergreifen“ richtet den Blick auf junge Menschen, die sich entschieden haben, aktiv Demokratie mitzugestalten. Dabei geht es nicht nur um parteipolitisches Engagement, sondern auch um andere Formen des gesellschaftlichen Handelns. Die zentrale Frage lautet: Warum wollen sie das heute überhaupt noch tun – und was treibt sie an?

Im Osten ist es wohl nicht mehr möglich, in der Demokratie einen Weg des Miteinanders zu finden.

Das ist ein vereinfachtes Vorurteil. Natürlich haben im Osten nicht alle eine Partei gewählt, die für ein demokratisches Miteinander steht. Aber gerade das macht deutlich, wie dringend ein echter Ost-West-Dialog heute ist. Denn offensichtlich gibt es dort viele Menschen, die sich nicht gehört oder gesehen fühlen – und sich deshalb jenen zuwenden, die am Ende gar nicht in ihrem Interesse handeln werden. Ein ähnliches Phänomen sehen wir auch bei den Republikanern in den USA: Auch dort werden viele Wähler:innen letztlich von denen enttäuscht, denen sie ihre Stimme gegeben haben. Unsere Aufgabe ist es, das klar zu benennen – aber nicht mit erhobenem Zeigefinger oder westlicher Arroganz, als wüssten wir es automatisch besser. Sondern mit echtem Interesse, mit Zuhören – und dem Willen zum Dialog.

Kann da ein Tanzabend was ändern, der tief in die Welt des Unterbewusstseins eintaucht?

Sie sprechen von „Theatre of Dreams“? Diese Inszenierung ist ohne Zweifel eine der bedeutendsten und politischsten Abende in der tänzerischen Arbeit von Hofesh Shechter und seiner Company. Ein brillantes Werk der Tanzkunst, das sich mit der Zerstörung von Gemeinschaft auseinandersetzt – wenn die Lebensfreude, dieser ekstatische Moment, brutal von Gewalt zerschlagen wird. Das ist schonungslos und gleichzeitig tief berührend.

Bleibt also mehr als das Verzweifeln an der Welt, das vielleicht Lina Beckmann mit Roland Schimmelpfennigs Monolog „Laios – Anthropolis II“ behandelt?

Auch hier geht es nicht um ein Verzweifeln an der Welt, sondern um ein Ergründen ihrer Abgründe – der Schlechtigkeit, die in ihr steckt. Wenn eine so außergewöhnliche Schauspielerin wie Lina Beckmann sich diesem großen Mythos widmet, dann geht es um mehr: um Fragen nach Schuld, nach Verantwortung und um den Zweifel an der Richtigkeit des eigenen Handelns. Doch aus all dem entsteht keine Resignation, sondern eine Erkenntnis: dass man seinem Schicksal vielleicht nicht vollständig entkommen kann – es aber durchaus in gewissem Maß lenken kann.

Wie können Künstler:innen und Gesellschaft überhaupt zum Schutz demokratischer Werte beitragen? Wen erreichen sie? Etwa nur die Theatergänger:innen?

Das wäre zu kurz gedacht. Im Augenblick ist es wichtiger denn je, Lebenswirklichkeiten und -realitäten zu erzählen – mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben das Theater, andere haben das Fernsehen, den Film, die Literatur oder digitale Formate. Die gesamte kreative Szene ist gerade aufgefordert, ihre eigene kulturelle Identität zu zeigen, auch wenn sie sich von der der anderen unterscheidet – und gleichzeitig zu betonen, wie wichtig es ist, die Identität der anderen zu respektieren und wertzuschätzen. Wenn man nur auf das Theater schaut, könnte man schnell sagen, dass es nicht mehr die tiefgreifende Wirkung auf die gesamte Gesellschaft hat. Aber im Zusammenspiel mit anderen Medien, um die Wirklichkeit zu beschreiben, ist es wichtiger denn je. Und gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen: Wer spricht hier? Wer wird gezeigt, wer repräsentiert? Welches Weltbild und Menschenbild tragen wir in die Öffentlichkeit?

Wie passen die finanziellen Einschnitte in die Kunstszene dazu?

Leider gar nicht. Ich finde sie grundfalsch. Sie treffen im falschen Moment die Falschen. Es ist verheerend für die Wirkmächtigkeit, die Kunst und Kultur haben. Auch die Kunst braucht Investitionen.

Ein besonderes Augenmerk gilt in jeder Festspielsaison dem Theater für Junges Publikum. Dieses Mal befasst sich das Figuren- und Objekttheater „Lumina“ mit der längst unkritisch gewordenen digitalen Menschheit. Lässt sich diese Entwicklung überhaupt aufhalten, wenn doch schon das Bildungssystem versagt?

Diese Entwicklungen haben die Menschheit auch immer vorwärtsgetrieben. Und genau hier kommen wir wieder auf das diesjährige Motto „Zweifel und Zusammenhalt“ zurück. Neue Technologien erweitern unser Menschsein und eröffnen neue Möglichkeitsräume. Doch der unkritische Umgang mit diesen Möglichkeiten ist problematisch. Umso mehr ist es bemerkenswert, dass diese Theatergruppe mit Mitteln des Objekttheaters ganz jungen Menschen die verschiedenen Aspekte der Künstlichen Intelligenz näherbringt. Es geht darum, den Zauber dieses „Magiekastens“ nicht nur zu bewundern, weil er uns schnell Texte übersetzen oder Bilder produzieren kann, sondern sich auch die wichtigen Fragen zu stellen: Welche Sprache und welche Bilder werden durch KI reproduziert? Wer finanziert und verdient daran? Und was sind die potenziellen Gefahren oder ökologischen Fußabdrücke solcher Technologien?

Wie gefährlich ist die KI für unser soziales Miteinander? Den Kampf Fakten gegen „alternative Fakten“ kann die Demokratie nicht gewinnen.

Im Moment gibt es eine KI, die ihrem Schöpfer – einem der größten Verbreiter von Fake News – genau das vorrechnet. Die KI Grok von Elon Musk hat ihn im vergangenen Herbst öffentlich als einen der größten Verbreiter von Falschinformationen bezeichnet. KI kann also auch Fake entlarven. Es muss also nicht immer nur in Richtung von Schreckensszenarien gehen. KI kann auch dazu beitragen, gut gemachte Manipulationsstrategien aufzudecken – wenn sie nicht abgeschaltet oder missbraucht wird. Das zeigt, dass KI durchaus ein Werkzeug sein kann, das auf der Seite der Aufklärung und Wahrheit steht, wenn wir es richtig nutzen. 

Ruhrfestspiele 2025 | 1.5. - 8.6. | div. Orte in Recklinghausen, u.a. Ruhrfestspielhaus | 02361 91 80

Interview: Peter Ortmann

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