Wenn die kleine Maria Cecconi gesucht wird, wird auch schon mal eine Luft-Boden-Rakete abgefeuert und ein wirklich riesigerHigh-Heel-Pumps drängelt sich ferngesteuert durch die Vorhänge, wird zum Kind, zum Rennwagen, zum skurrilen Momentum. „She put de lime in de coconut, she drank 'em bot' up“: Harry Nilssons „Coconut-Song“ – die gefühlte Dauerschleife von 1971 – weht dazu durch den Raum. Was geht noch auf der leeren Fläche mit gemaltem Himmel? Filmschauspielerin Sophie Rois ist Rennfahrerin für Lotus und kommt nach Drehschluss nicht mehr aus ihrer Rolle heraus. Alle andern auf der Bühne
(Christine Groß, Astrid Meyerfeldt, Jeremy Mockridge, Katrin Wichmann) wohl auch nicht, sie ziehen die Rennfahrer-Overalls einfach nicht aus, obwohl der Film seit drei Wochen abgedreht ist. Und die Outfits scheinen Original zu sein, feuerfest, muffig und warm. „Am Ende meines Lebens seh ich lieber ne verrostete Ölwanne an und sage, das ist das Leben, mehr war‘s nicht, mehr war nicht drin. Es wuselt, es rattern die Benzin-geschwängerten Ideen in René Polleschs neuem Stück „Goodyear“ über Sinn und Unsinn im Kreis zu rasen, um das Schauspielern an sich und die Tücken, die der andauernde Rollenwechsel mit sich bringt.
Bei der Geschwindigkeit der Gedankenblitze ist die Gefahr aus der Kurve zu fliegen dankenswerterweise nicht gerade hoch. Ob das auch der Corona-Krise geschuldet ist, wer weiß das schon? Covid-19-Tests braucht ein Pilot in seinem einsamen Cockpit ja nicht und so schwitzen sie da grandios auf der großen Bühne (Bühnenbild: Barbara Steiner) des Ruhrfestspielhauses in Recklinghausen. Da werden Film-Klappen geklappt, wenn es undurchsichtig wird und mit dem Satz „Keiner bewegt sich ohne Regierungsanweisung über die Bühne“ wird auch die Choreografie der Rennfahrer*innen zumindest ab und an strukturiert. Die immanenteKlassenfrage richtet sich also nach PS-Zahlen, ein Benzinkanister wird zum latenten Gefahrenmoment.
Auch der linke Lifestyle wird zum Boxentalk, weil die großen Weltprobleme immer mehr den Teenagern überlassen werden. Niemand kommt eben mehr aus seiner Figur heraus, auch in der Realität um die kurvige Strecke herum. Rauchen bleibt verboten – „ist eben eine Traditionsstätte hier“, sagt Sophie Rois – und wird dennoch immer wieder zelebriert. „Weißt du, zum Beispiel wenn ich rauche – ich weiß ja, dass das schädlich ist – das heißt nicht, dass ich mich umbringen will. Aber ich denke drüber nach,“ sagt Jeremy Mockridge. Klappe. Kopulationsgehampel, unsichtbare Flammen, Piratenbreak und Slapstickeinlagen mischen die Gedanken in den Köpfen der Zuschauer – wie bei Pollesch erwartet – durcheinander.
Seine Regie ist wie immer quirlig, kommt mit wenigen Requisiten aus, verfügt aber immer auch über eine großartige Schauspielschar. Vielleicht geht es im Leben auch nur darum, eine bestimmte Attitüde zu lernen und so zu handeln, sagt Sophie und qualmt kräuterig weiter in der Traditionsstätte. Wer weiß da noch, ob sie immer noch in ihrer Figur oder zumindest noch „mit einem Fuß in der Figur“ drinsteckt und wann sie da endlich rauskommen kann.
Gescheitert ist sie damit nicht. Am Ende bleibt Musik, Liebe und Schönheit und ein Spiel mit dem pathetischen Geschwindigkeitsrausch. Wer diese fünf Pilot*innen noch einmal erleben will, muss auf den Herbst warten und nach Berlin in Deutsche Theater fahren. Es wird sich lohnen.
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