Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Mithu Sanyal
Foto: Guido Schiefer

In stürmischen Höhen

13. April 2023

Mithu Sanyal bei den Ruhrfestspielen – Literatur 04/23

Das Licht in der Volksbühne Köln wird gedimmt, im Saal kehrt Stille ein. Im Rahmen der lit.Cologne sitzt Mithu Sanyal am 9. März auf der Bühne, in der Hand ihr neues Buch. Das dünne Hardcover mit rotem Einschlag ist ein Werk über Emily Brontë, welches den Auftakt der neuen Reihe „Bücher meines Lebens“ des Kiepenheuer & Witsch Verlags bildet, herausgegeben von Volker Weidermann. Auf dem kleinen Beistelltisch neben der Autorin stapeln sich mindestens sieben verschiedene Ausgaben von  Brontës Klassikers „Sturmhöhe“. Sobald Sanyal zu sprechen beginnt, wird deutlich, dass sie für Brontë brennt. Mit leuchtenden Augen erzählt sie, dieses Buch habe sie seit ihrer frühen Jugend begleitet, habe ihr im Laufe ihres Lebens zur Seite gestanden – sei es beim Sex, im Urlaub oder während einer schmerzhaften Trennung. Das Buch habe sie immer bestärkt in ihrem revolutionären Denken und Handeln. Mit jeder Ausgabe, mit jedem Lesen, habe sie den Text neu entdeckt, und jedes Mal habe ihr Emily mit ihrem zu eigenen Lebzeiten als gefährlich geltenden Buch neue Kraft, neue Weisheiten bieten können.

Nicht nur mit Emily, sondern auch mit den anderen Brontë-Geschwistern setzt sich die Schriftstellerin in ihrem Buch „Mithu Sanyal über Emily Brontë“ auseinander. Sie betrachtet besonders die drei ebenfalls schreibenden Brontës – Charlotte, Anne und Branwell – und deren Werke. Weshalb waren Bücher wie „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë weitaus populärer? Weshalb löste das für die damalige Zeit so radikale „Wuthering Heights“ solch eine gesellschaftliche Entrüstung aus? Und wie kann ein so alter Roman noch heute hochaktuell sein? Sanyal bricht den von vielen als unfraulich abgestempelten Roman von Emily Brontë auf, beobachtet, analysiert, fantasiert, aus bisher unentdeckten Perspektiven und lässt somit die Leser:innen „Sturmhöhe“ ganz neu erleben.

Als Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters beschreibt Sanyal Emily Brontës „Sturmhöhe“ als ihre erste bewusste Erfahrung mit Rassismus in der Literatur – und Heathcliff als ihren ersten literarischen Verbündeten, gar Helden, der als schwarz deskribiert wird. Das Publikum hört der Autorin gebannt zu, wie sie mit lockerer, humorvoller Art erzählt, der Roman könne für sie als postmigrantische Literatur gelesen werden kann. Mit ansteckender Begeisterung zieht Sanyal Querverbindungen, von dem 1847 erschienenen Werk zu zeitgenössischer Literatur. Dröselt dabei „Wuthering Heights“ schonungslos auf, positioniert sich zu Thesen anderer Literaturwissenschaftler:innen und lässt dabei von Inzest über Geister bis hin zur Behauptung, Emily müsse ein Mann gewesen sein, da dieser Roman keinesfalls von einer Frau stammen könne, nichts aus.

Die 1971 geborenen Schriftstellerin, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin ist bereits bekannt durch frühere Werke, unter anderem das Sachbuch „Vulva. Das unsichtbare Geschlecht“ sowie ihr Debütroman „Identitti“, welcher mit dem Literaturpreis Ruhr und dem Ernst-Bloch-Preis 2021 prämiert wurde. Am 16. Mai ist sie mit ihrem aktuellen Werk „Mithu Sanyal über Emily Brontë“ auf der Bühne des Ruhrfestspielhauses zu sehen, im Gespräch mit dem Literaturkritiker und Moderator Denis Scheck. An diesem Abend dreht sich alles darum, wie ein Roman, der vor 170 Jahren verfasst wurde, noch heute Resonanz findet und dabei sogar Antworten auf Fragen zu Gender, Race und Class bieten kann. Eine Veranstaltung im Rahmen der Ruhrfestspiele.

Mithu Sanyal im Gespräch mit Denis Scheck | Di 16.5. 20 Uhr | Ruhrfestspielhaus Kleines Haus | www.ruhrfestspiele.de

Julia Zipfel

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24

Gaga goes Recklinghausen
„Soul Chain“ bei den Ruhrfestspielen – Tanz an der Ruhr 05/23

„Ich bin nicht außer mir vor Wut, im Gegenteil“
Olaf Kröck über die Recklinghäuser Ruhrfestspiele und Theater in Kriegszeiten – Premiere 04/23

Internationale Vernetzung
Olaf Kröck verlängert Vertrag bei den Ruhrfestspielen – Theater in NRW 10/22

Die im Dunklen sieht man nicht
„Dreigroschenoper“ im Rahmen der Ruhrfestspiele – Auftritt 07/22

Keine Berührungsängste
Ivo van Hove leitet ab 2024 die Ruhrtriennale – Theater in NRW 06/22

„Es geht um gesellschaftsrelevante Inhalte“
Intendant Olaf Kröck über die diesjährigen Ruhrfestspiele – Premiere 04/22

Wenn Rennlärm die Dialoge übertönt
René Polleschs „Goodyear“ bei den Ruhrfestspielen – Auftritt 07/21

Mit Juliane Werding im Rettungswagen
Denis Scheck im Gespräch mit Joachim Meyerhoff – Festival 06/21

„Wir eilen nicht voraus und bringen uns zum Verschwinden“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2021 – Premiere 04/21

Draußen im Sommer oder Plan B
75. Ruhrfestspiele 2021 – Festival 04/21

„Gut, wenn man auch mal über Liebe spricht“
Leiterin Annette Dabs zur Absage der Fidena und den Grand Prix d‘Amour – Premiere 05/20

Literatur.

Hier erscheint die Aufforderung!