Gefühle, gar Liebe sind nur schwer zu erkennen in dieser Choreografie, in der Sharon Eyal die 17 Tänzer:innen wie animalische, konformistische, maschinelle, ja fast dressierte Primaten trippeln lässt. Dabei kreierte die israelische Choreografin „Soul Chain“ für tanzmainz als Auftragswerk über Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit. Nun gastiert ihr 50-minütiges Stück aus Ballett und Elektromusik auch bei den diesjährigen Ruhrfestspielen.
Gerade an der kraftvollen Körperlichkeit von Eyals Choreografien lässt sich bereits erkennen, wo die in Jerusalem geborene Künstlerin ihr Tanzhandwerk lernte und ihre ersten Bühnenarbeiten schuf: beim berühmten israelischen Tänzer und Choreografen Ohad Naharin, der 1990 die kreative Leitung der Batsheva Dance Company übernahm. Dort entwickelte er mit dem Ensemble eine Bewegungssprache und Lehrmethode, die unter dem Begriff „Gaga“ reüssierte – so erfolgreich, dass Naharin auch unter dem Namen Mr. Gaga firmiert.
Es wäre jedoch falsch und unfair, Eyal als bloße Gaga-Epigonin zu verklären. Schließlich gründete sie 2013 mit ihrem langjährigen künstlerischen Partner Gai Behar ihr eigenes Ensemble L-E-V (lev steht im Hebräischen für Herz). Mit über 200 Vorstellungen gastierten sie seitdem auf der Welt – vom Joyce Theatre New York City bis zur Ruhrtriennale. Unverkennbar ist auch, dass Eyal ihren Choreografien einen eigenen ästhetischen Stempel aufdrückte, der sich von Naharins expressiver Gaga-Schule abgrenzt, die stark entlang der Kitschklippe schrammt.
Ein Faktor dafür ist unter anderem die elektronische Musik des israelischen Komponisten Ori Lichtik, der das kreative Dreieck von L-E-V komplettiert. Denn es sind seine technoähnlichen Beats, zu der auch in „Soul Chain“ die Tänzer:innen in hautfarbenen Body-Suits und im rhythmischen Gleichklang stampfen, so präzise und repetitiv, dass sie wie eine amorphe Körpercollage erscheinen. Wären da nicht die eruptiven und kraftvollen Ausbrüche, mit der sich einzelne Tänzer:innen während der Choreografie aus der Kette reißen. Eyal akzentuiert damit das Heraustreten aus dem Gleichen, welches erst die Unterschiede erkennbar macht: nicht zuletzt in der Einsamkeit, Sehnsucht oder der Liebe.
Soul Chain | C: Sharon Eyal | 13.5. 20 Uhr | Ruhrfestspielhaus | 02361 91 84 01
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Lustvolle Inspirationsquelle
Das Circus Dance Festival 2025 in Köln – Tanz in NRW 06/25
Tanz als Protest
„Borda“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 06/25
Pionierin der feministischen Kunst
Judy Chicago in der Kunsthalle Recklinghausen
Lässiger Spott
„Ophelia‘s Got Talent“ am Schauspiel Köln – Tanz in NRW 05/25
„Der Zweifel als politische Waffe“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Premiere 05/25
Gegen den ewigen Zweifel
Die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Prolog 04/25
Plötzlich und heftig
Das Land NRW kappt Säulen der Tanzförderung – Tanz in NRW 04/25
Baum der Heilung
„Umuko“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 03/25
Tanz der Generationen
„Kaleidoskop des Lebens“ von Choreografin Suheyla Ferwer – Tanz in NRW 03/25
Überraschungen vorprogrammiert
Das Urbäng Festival 2025 in Köln – Tanz in NRW 02/25
Wenn KI choreografiert
„Human in the loop“ am Düsseldorfer Tanzhaus NRW – Tanz an der Ruhr 01/25
Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25
„Das Publikum ist verjüngt und vielfältig“
Opernintendant Heribert Germeshausen zum Wagner-Kosmos in Dortmund – Interview 06/25
„Da werden auch die großen Fragen der Welt gestellt“
Kirstin Hess vom Jungen Schauspiel Düsseldorf über das 41. Westwind Festival – Premiere 06/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25
Das Vermächtnis bewahren
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Bühne 05/25
Rock mit Käfern, Spiel mit Reifen
41. Westwind Festival in Düsseldorf – Festival 05/25
Von und für Kinder
„Peter Pan“ am Theater Hagen – Prolog 05/25
Entmännlichung und Entfremdung
Festival Tanz NRW 2025 in Essen und anderen Städten – Tanz an der Ruhr 05/25
Von innerer Ruhe bis Endzeitstimmung
Die 50. Mülheimer Theatertagen – Prolog 04/25
Jenseits des männlichen Blicks
„Mother&Daughters“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 04/25
„Kunst hat keine Farbe, Kunst ist Kunst“
Isabelle und Fabrice Tenembot vom Verein Afrikultur über das 4. Mboa-Festival in Dortmund – Interview 04/25