Absurd beginnen in diesem Jahr die Ruhrfestspiele in Recklinghausen, um dem moralischen Versagen weltweit etwas zu entgegnen: In der Eröffnungsinszenierung von Luc Perceval verlieren sich Estragon und Wladimir mal wieder – oder immer noch – beim Warten auf einen gewissen Godot in ihren Machtspielen, während sich im fernen Osten und Westen nach wie vor die zeitgenössischen Landbesitzer die Menschheit als Dienstpersonal und Hofclowns halten. Das ganze Programm ab 1. Mai ist übertitelt mit „Zweifel und Zusammenhalt“, wohl auch, weil die Zweifel an allem und jedem heute zu mächtigen Verwerfungen in unserer Demokratie führen und ein Zusammenhalt gegen die Feinde draußen und drinnen kaum noch zu bewerkstelligen ist. Im Kleinen Haus des Ruhrfestspielhauses wird es erst einmal dokumentarisch und intim. Der Autor und Regisseur Mohamed El Khatib hat bei einem Projekt in französischen Seniorenheimen viel über zahlreiche unbekannte Sehnsüchte bei den älteren Menschen erfahren und daraus die dokumentarische Inszenierung „Das geheime Leben der Alten“ gemacht, in der acht Menschen zwischen 75 und 100 Jahren überraschende Lebens- und Liebesgeschichten preisgeben.
Insgesamt sind über 620 Künstler:innen aus der ganzen Welt an den diesjährigen Ruhrfestspielen beteiligt. 90 Produktionen, darunter zwei Uraufführungen und acht Deutschlandpremieren, verteilen sich auf rund 220 Veranstaltungen, deren Vorverkauf längst begonnen hat. ZurExplosion im Festspielhaus wird es sicher nicht kommen, insbesondere die kleineren Produktionen strotzen nicht vor Kapazitäten. Dennoch liegt ein Hauptaugenmerk der Festivalleitung wieder auf dem Theater fürjunges Publikum, demNeuen Zirkus und dem Stadtraum von Recklinghausen. Dazu passt auch die Uraufführung desdokufiktionalen Stücks: „Es ist nie Sommer im Ruhrgebiet“, das Guido Wertheimer, Nachkomme jüdisch-deutscher Exilant:innen in Buenos Aires, über die Geister seiner Vorfahren geschrieben hat.
Am Ende beschließt der südafrikanische Künstler William Kentridge mit der Deutschlandpremiere von „The Great Yes, The Great No“ die Ruhrfestspiele 2025 mit einem Werk über Kolonialismus, das zwischen surrealistischer Kammeroper und Bildender Kunst angesiedelt ist.
Ruhrfestspiele 2025 | 1.5. - 8.6. | div. Orte in Recklinghausen | 02361 921 80
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

„Der Zweifel als politische Waffe“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Premiere 05/25
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
Gaga goes Recklinghausen
„Soul Chain“ bei den Ruhrfestspielen – Tanz an der Ruhr 05/23
In stürmischen Höhen
Mithu Sanyal bei den Ruhrfestspielen – Literatur 04/23
„Ich bin nicht außer mir vor Wut, im Gegenteil“
Olaf Kröck über die Recklinghäuser Ruhrfestspiele und Theater in Kriegszeiten – Premiere 04/23
Internationale Vernetzung
Olaf Kröck verlängert Vertrag bei den Ruhrfestspielen – Theater in NRW 10/22
Die im Dunklen sieht man nicht
„Dreigroschenoper“ im Rahmen der Ruhrfestspiele – Auftritt 07/22
Keine Berührungsängste
Ivo van Hove leitet ab 2024 die Ruhrtriennale – Theater in NRW 06/22
„Es geht um gesellschaftsrelevante Inhalte“
Intendant Olaf Kröck über die diesjährigen Ruhrfestspiele – Premiere 04/22
Wenn Rennlärm die Dialoge übertönt
René Polleschs „Goodyear“ bei den Ruhrfestspielen – Auftritt 07/21
Mit Juliane Werding im Rettungswagen
Denis Scheck im Gespräch mit Joachim Meyerhoff – Festival 06/21
„Wir eilen nicht voraus und bringen uns zum Verschwinden“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2021 – Premiere 04/21
Das selbsternannte Volk
„Die Nashörner“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 10/25
Körper und Krieg
„F*cking Future“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 10/25
Foltern ohne Reue
„Törleß“ am Bochumer Rottstr 5 Theater – Prolog 10/25
„Subjektive Wahrnehmung ist verboten“
Regisseurin Jette Steckel über „Das große Heft“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 10/25
Graf Fridol geht auf Nachtschicht
Musik-Improtheater beim Duisburg Fringe Festival – Festival 09/25
Auf einem Mistkäfer zum Olymp
„Der Frieden“ am Schlosstheater Moers – Prolog 09/25
Ein großartiges Schlachten
Elfriede Jelineks „Am Königsweg / Endsieg“ in Essen – Prolog 09/25
„Es geht auch um Fake News“
Regisseurin Lola Fuchs über „Der zerbrochene Krug“ am Schauspielhaus Dortmund – Premiere 09/25
„Kreativität entsteht manchmal aus Reduktion“
Marc L. Vogler über seine Arbeit als Hauskomponist der Jungen Oper Dortmund – Interview 09/25
Ein Fake für den Nobelpreis
„Der Fall McNeal“ in Düsseldorf – Prolog 08/25
Im Körper graben
„Every-body-knows…“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 08/25
Supernova oder Weltfrieden
„GenZ, weine nicht“ bei der Jungen Triennale in Bochum – Prolog 08/25
„Wir brauchen sichere, offene Orte“
Ab der Spielzeit 2025/26 leitet Dramaturgin Sabine Reich das Prinz Regent Theater in Bochum – Premiere 08/25