trailer: Herr Germeshausen, der Wagner-Kosmos ist eine Reihe, die sich über mehrere Spielzeiten erstreckt. Worauf kam es Ihnen bei der Beschäftigung mit dem Komponisten Richard Wagner (1813-1883) an?
Heribert Germeshausen: Entscheidend war für mich, den Kontext der Werke Richard Wagners in ihrer Zeit zu erkunden. Viele Leute, die nie eine Wagner-Oper besuchen, beschäftigen sich mit der Instrumentalisierung Wagners durch den Nationalsozialismus, aber wissen nicht, was für ein epochaler Komponist er ist. Ohne ihn wäre die musikalische Moderne nicht möglich. Er ist einer der zentralen Komponisten überhaupt.
Welches Konzept haben Sie für den Wagner-Kosmos?
Ausgangspunkt war der neue „Ring“ mit Peter Konwitschny als Regisseur. Ich wollte aber keinen neuen „Ring“ unter vielen zu machen. Jede Wagner-Oper sollte mit zwei Opern anderer Komponisten kombiniert werden, davon eine aus dem historischen Umfeld von Wagner, von Vorläufern, Zeitgenossen oder Antipoden. Die andere – entsprechend Wagners Motto „Kinder, schafft Neues“ – sollte eine Uraufführung sein. Begonnen hat der Kosmos mit „Lohengrin“, den ich bewusst vorangestellt habe: Er ist das zentrale Werk aus der Zeit, in der uns Richard Wagner als Mensch besonders sympathisch erscheint, und er für die bürgerliche Revolution auf die Barrikaden gegangen ist.
Das Zwischenergebnis?
Das Konzept ist gut aufgegangen: 2023 wurden wir als bestes Opernhaus des Jahres ausgezeichnet und haben viele Auszeichnungen bekommen, zum Beispiel für die „Wiederentdeckung des Jahres“. Der Wagner-Kosmos geht auch nach Abschluss des „Rings“ im Mai 2025 weiter, meistens mit Wagner im Zentrum; es wird auch Ausgaben mit Opern geben, die nicht von Wagner sind, etwa in der nächsten Spielzeit, in der wir eine Wagner-Gala anbieten, dazu gibt es eine Ur- und eine Erstaufführung.
Wie hängen die beiden neuen Werke, die auf dem Spielplan 2025/26 stehen, mit Wagner zusammen?
Es gibt zwischen den beiden Opern einen starken Zusammenhang, zu Wagner aber keinen direkten Bezug. Die szenische deutsche Erstaufführung der „Mazeppa“ von Clémence de Grandval (1830-1907) wirft einen Blick auf die stark von Wagner geprägte französische Romantik. „Mazeppa“ handelt von einem ukrainischen Nationalhelden. „Wir“ von Sarah Nemtsov – unsere Uraufführung – basiert auf einem Roman von Jewgeni Samjatin, der die junge Sowjetunion als sterile „schöne neue Welt“ porträtiert. In dem großen „Wohltäter“ des Romans, der sich als schlimmer Diktator erweist, finden wir Bezüge zur aktuellen politischen Situation mit ihren dystopischen Situationen in der Ukraine.
Was wollten Sie mit diesem Schwerpunkt erreichen?
Schon in meinem Bewerbungsgespräch hatte ich angekündigt, die Ausstrahlung der Oper Dortmund durch verschiedene Festivalformate zu stärken. Mit dem Wagner-Kosmos möchten wir in der Spitzenliga der europäischen Opernhäuser mitspielen, was ein großer Sprung für ein Haus mit der finanziellen Ausstattung der Oper Dortmund ist. Das andere ist die Gründung der Bürger*innen-Oper. Der Anspruch ist, die Oper Dortmund neuen Publikumsschichten zu öffnen, stärker in der Stadtgesellschaft verwurzelt zu sein, aber gleichzeitig ein Haus mit einer starken internationalen Ausstrahlung zu sein.
Was ich bisher beim Wagner-Kosmos vermisse: Der musikalische „Wagnerismus“, also Werke unter direktem Einfluss der Musik Wagners, wurde bisher noch nicht beleuchtet, oder?
Wir zeigten in diesem Bereich 2021 „Frédégonde“ von Ernest Guiraud und Augusta Holmès „La montagne noire“. Ich habe den französischen „Wagnerisme“-Blick und möchte da Stücke auswählen, die deutsche Erstaufführungen sind oder lange nicht gespielt wurden, die eine heute spannend vermittelbare Handlung haben und eine für uns passende Sängerbesetzung aufweisen. Wir arbeiten mit dem Palazzetto Bru Zane in Venedig zusammen, einem Forschungszentrum für die romantische französische Musik. Manche Werke kann man sich heute nicht mehr auf einer Bühne vorstellen; ich versuche, Stücke zu finden, die eine zweite Chance verdienen und vielleicht den Weg zurück ins Repertoire schaffen.
Stichwort Stadtgesellschaft: Woran können Sie konkret festmachen, wie sich die Ausstrahlung der Oper in die Stadt entwickelt hat?
Wir haben Rekordeinnahmen an der Kasse; die Erlöse aus dem Kartenverkauf sind die höchsten der letzten 20 Jahre. Wir haben eine Auslastung von etwa 86 Prozent, das ist sensationell. Wir sehen auch, dass viele Leute zum ersten Mal in die Oper kommen. Das Publikum ist vielfältiger und jünger geworden.
Die Junge Oper ist bei Ihnen eine prominente Sparte – und Sie planen prominente Produktionen für die nächste Spielzeit.
Mir war wichtig, das Angebot von Kinder- und Jugendoper auszuweiten. Wir haben seit 2020 pro Jahr zwei Premieren und behalten die Stücke im Repertoire, sodass wir aus sieben oder acht Produktionen ein Repertoire bilden. Mit der Kooperation „Junge Oper Rhein-Ruhr“ haben wir das Angebot für alle Altersgruppen zwischen zwei und sechzehn Jahren ausgeweitet. Das eigene Ensemble für diesen Bereich und ein Hauskomponist – von 2024 bis 2026 Marc L. Vogler aus Gelsenkirchen, ein Schüler von Manfred Trojahn – sorgen zusammen mit den „We Do Opera!“-Spielclubs und den partizipativen Projekten am Ende der Spielzeit für mehr Angebot und mehr Qualität. Da wächst eine neue Generation von Opernfans heran.
Noch einen Ausblick auf die Spielzeit 25/26. Sie bringen Mozarts „Hochzeit des Figaro“ und mit Paul Abrahams „Märchen im Grand-Hotel“ die derzeitige Mode-Operette. Wollen Sie einen bunten Strauß bieten?
Wir haben eine binnendramaturgische Linie über den Wagner-Kosmos hinaus mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Mozart und Puccini in den letzten Jahren. „Le Nozze di Figaro“ setzt diese Reihe fort und ist ein perfektes Stück, in dem sich das Ensemble in Rollen präsentieren kann, in denen sich alle profilieren können, zusammen mit spannenden Gästen wie etwa den Sopranisten Maayan Licht und Samuel Mariño, die abwechselnd Cherubino singen. In Puccinis „Turandot“, die vor 100 Jahren uraufgeführt wurde, haben wir eine tolle Besetzung. Die Beschäftigung mit der Jazz-Operette hat am Haus Tradition; wir haben sie mit dem „Weißen Rössl“ und der Fritzi-Massary-Version der „Lustigen Witwe“ fortgesetzt.
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