In Heinrich von Kleists Gerichtskomödie geht es um das Vergehen eines Mr. A, der die junge Eve Rull bedrängt hat. Fuchs inszeniert das Stück laut Untertitel als „Mystery-Seifenoper“.
trailer: Frau Fuchs, würde Kleist im Grab rotieren, wenn er diese Inszenierung gesehen hätte?
Lola Fuchs (lacht): Wahrscheinlich schon. Nicht weil ich die Handlung großartig verändere, sondern weil ich mir anmaße, meine eigene pöbelhafte Sprache mit seiner poetischen Sprache zu vermischen. Das darf man natürlich nicht, obwohl ich inhaltlich der Linie treu bleibe, die er sich da ausgedacht hat.
Es wird eine „Mystery-Seifenoper“. Wird etwa auch gesungen?
In der Tat. Es wird auch ein bisschen gesungen. Da freue ich mich schon drauf.
Die Lüge als so genannte „alternative Wahrheit“ hat sich ja weltweit etabliert. Ist Mr. A in Dortmund auch ein Trumpist?
Ich gebe mir Mühe, dass er etwas anderes ist, aber dass es auch um Verschwörungstheorien, Fake News und so weiter geht, das lässt sich im Stück natürlichnicht vermeiden. Aber ich denke, dass Mr. A nicht so bräsig ist wie Trump.
Eve ist im Dortmunder Stück eine Töpfer-Fee. Wird so ihre Rolle als Opfer endlich mal aufgewertet?
Ja. Ich hoffe. Es ist natürlich immer eine Herausforderung mit den Frauenfiguren und ihrer Modernisierung. Ich habe mir schon was dabei gedacht, und ich glaube, dass sie nicht das brave, rechtschaffende Mädchen ist, so wie sie im Stück von Kleist angelegt ist.
Was passiert mit Kleists kongenialer Sprache?
Ich habe viel Original-Kleist beibehalten, und ich liebe diese wuchtige Sprache, die ja auch sehr handlungstreibend, lustig und inspirierend ist. Ich habe die einfach nur etwas weitergeschrieben und mit eigenen Texten vermischt. Manche Sachen, die nicht mehr so aktuell sind oder wo ich denke, dass man sie ein wenig ins Heute übertragen könnte, habe ich geändert. Manche Texte habe ich komplett geändert, wie beispielsweise der Monolog von Marthe, wo sie über den Krug spricht. Grund dafür ist, dass ich die Handlung nicht in den Niederlanden ansiedele, wo sie ja ursprünglich angesiedelt ist.
Wie surreal wird die Szenerie?
Schon ein wenig surreal.
Der Schreiber Licht muss scheitern – ist er bei Kleist nicht eher ein Gewinner?
Er ist nicht der absolute Verlierer, aber er sieht sich selbst so und hadert deshalb sehr mit seiner Rolle.
Das Dortmunder Schauspielhaus bietet viel Platz. Was wird zu sehen sein? Sicher nicht der übliche Gerichtssaal im schönen Huisum?
Nein. Wir haben tatsächlich Häuschen auf der Bühne. Das ist so eine Miniatur eines Märchendorfes, mit einem Wald am Rande der Welt. Man kann die Innenräume mit einer Live-Kamera betreten, und hoffentlich ergibt sich dann daraus eine fantastische Welt.
Wie geht man mit der Regie an so ein Stück heran, das so oft gespielt worden ist? Muss es nicht zwangsläufig modernisiert werden?
Muss es auf gar keinen Fall. Ich habe anfangs mit dem Stück, das mir vom Haus angetragen wurde, gehadert und war mir unsicher, ob ich das machen will. Ich habe es dann sehr viele Male gelesen und mich haben dann irgendwie doch die Figuren im Stück begeistert, wie sie gezeichnet sind, und natürlich auch der Witz im Stück. Ich hatte dann viele Assoziation zu dem Dorf im Stück, und es geht natürlich auch um die Aufklärung, viele Figuren im Stück sind ja nicht aufgeklärt, sind noch Analphabet:innen, und in der heutigen Zeit gibt es ja viele Menschen, die sich aktiv dem Liberalismus und der Aufklärung verweigern, aus welchen Gründen auch immer, und das ist etwas, was mich interessiert hat und was ich weiter verfolgen wollte.
Wie wichtig sind die Schauspieler:innen in Dortmund?
Enorm wichtig. Ich finde die Leute dort am Haus sehr toll, und wir haben da auch schon eine Arbeitsweise miteinander etabliert, insbesondere mit Linus Ebner als Mr. A und Nika Mišković, die den Gerichtsrat Walter spielt. Klar, das Stück hat eine krasse Sprache und lebt natürlich von den Figuren, die die Schauspieler:innen kreieren und die mit deren Fantasie gefüllt werden müssen.
Aber eine Komödie zu inszenieren bleibt schwerer als ein tragisches Schauspiel?
Weiß ich gar nicht, sagt man immer so. Es ist ja nicht nur eine Komödie, sondern auch total tragisch.
Letzte Frage: Gerichtsrätin Wendy Walter wird doch sicher bei ihrer Ankunft auch was zu essen angeboten. Wurst aus Braunschweig, ein Gläschen Danziger etwa – oder ist alles zeitgenössisch vegan?
(lacht) Es geht viel um Naturwein. Es gibt ja heute auch so einen Fetisch mit bestimmter Nahrung, bei uns wird es wohl keine Wurst, aber bestimmte regionale Speisen, und die kommen zur Genüge vor.
Der zerbrochene Krug | 11. (P), 12., 29., 30.10., 18.1. | Schauspielhaus Dortmund | 0231 502 72 22
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