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Benjamin Abel Meirhaeghe
Foto (Ausschnitt): Tinny Geeroms

„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“

28. November 2024

Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24

Der belgische Countertenor und Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe inszeniert an den Bochumer Kammerspielen sein eigenes Stück „Give up die alten Geister“. Darin können das Gebäck Madeleine aus Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ und Mozarts unvollendetes Requiem Erinnerungen durch die Zeit transportieren.

trailer: Herr Meirhaeghe, ist es möglich, dass Sie mit dem Stück auf der Suche nach dem Geschmack der Zeit sind?

Benjamin Abel Meirhaeghe: Das stimmt. Ich möchte aber auch erforschen, was die Vergangenheit möglicherweise für die Zukunft bringt. Darum geht es in dem Stück „Give up die alten Geister“.

Wie wichtig ist die Vergangenheit für uns?

Das ist eine interessante Frage. Die Vergangenheit ist etwas Abstraktes und gleichzeitig sehr Wichtiges. Was mir an der Vorstellung von Vergangenheit gefällt, ist, dass Generationen von Generationen auf dem Fundament anderer Generationen weiter aufbauen. Das erinnert mich an Staffelläufe, bei denen viele rennen und ein Stab immer an eine andere Person weitergegeben wird. Diese Art von Bild mag ich. In der heutigen Zeit wird die Vergangenheit, werden bestimmte Traditionen sehr wichtig. Das geht mit einer gewissen konservativen Mentalität einher. Manchmal müssen wir offener für neue Perspektiven sein. Auch diese Reibung interessiert mich. 


Aber wir sollten unsere Geschichte des Kolonialismus oder des Holocausts nicht vergessen, oder?

Nein, absolut nicht. In dem Stück, das ich entwickeln werde, gibt es einen alten Geist, andere böse Geister und Dinge, die immer dann auftreten, wenn es in der Geschichte schlecht lief. Diese alten Geister sind Kolonialismus, Faschismus, Narzissmus. Aber auch das, was heute passiert, wie der pervertierte Kapitalismus eines Elon Musk, der auf einem verrückten Industrialismus basiert. Er hört auf das Flüstern der alten Gespenster. Das Ganze ist ein System, und es geht immer weiter, und das ist es, was wir in diesem Stück zeigen wollen.

Kommen wir zu Proust – gibt es Prousts berühmte Madeleines bei den Proben?

Bis jetzt nicht. Vielleicht muss ich später mal welche kaufen! Was mich an Proust fasziniert, ist, dass Erinnerung etwas sehr Textiles, sehr Materielles, sehr Körperliches ist. Sie erscheint oft, wenn man etwas schmeckt, wenn man etwas riecht oder etwas fühlt. Viele schöne Erinnerungen werden wie schlimme Traumata sehr lange im Körper gespeichert. Wenn ich zum Beispiel Apfelsaft trinke, kann ich mich sofort in meine Vergangenheit als Kind, und sehr genau in diese damalige Situation zurückversetzen. Dies wird auch in die Aufführung einfließen.

Welche Rolle spielt Mozarts unvollendetes Requiem in Ihrem Stück? Da geht es doch nicht nur um zu viele Bearbeitungen nach seinem Tod?

Das Requiem interessiert mich, aber ich weiß nicht alles darüber. Zunächst habe ich zwei Pianistinnen eingeladen, eine junge Frau, die als klassische Pianistin ausgebildet wurde, aber jetzt mehr im Punk und in elektronischer Musik unterwegs ist, und dazu ihre allererste Lehrerin. Als sie vier Jahre alt war, hat ihr diese Lehrerin die Liebe fürs Klavier vermittelt. Diese Besetzung spiegelt bereits, wie Generationen nicht nur klassische Musik, sondern alle Formen von Musik weitergeben, übermitteln, vererben. Auch etwas von jemandem zu lernen, ist ein Stück Vergangenheit in die Zukunft zu übertragen. So überlebt klassische Musik, gleichzeitig stirbt sie langsam, denn mehr und mehr junge Menschen hören sie nicht mehr. Das Mozart-Requiem in seiner Dunkelheit steht für mich auch dafür und die ernste Frage, was mit klassischer Musik zukünftig passieren wird. Wird sie noch klassischer oder wird sie zum Archiv, zum Gegenstand der Archäologie werden? Oder können wir sie in die Zukunft mitnehmen? 

Das Schauspielhaus Bochum beschreibt Ihr Theater in seiner Ankündigung des Stücks „Give up die alten Geister“ als eine Art Echokammer. Was bedeutet das?

Eine Echokammer ist für mich wie eine zeitreisende Maschine. Menschen im Theater sitzen im Hier und Jetzt und sehen eine Geschichte aus der Vergangenheit, beispielsweise Tschechow oder auch klassisches Ballett. Aber die meisten Künstler:innen denken auch über die Zukunft nach. Das ist für mich wie ein Loop. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind im Theater gleich, und wenn ich zur Arbeit ins Theater gehe, dann erlebe ich diese Zeitreisen. 

Ist Ihre Inszenierung von Erinnerung eher performativ oder theatralisch?

Ich nutze alle Formen von Theater, die man kennt. Ich nutze klassischen Tanz, zeitgenössischen Tanz, klassische Musik, zeitgenössische Musik. Mein Theater ist sehr visuell, und das macht es performativ. Ich arbeite mit vielen Dingen auf der Bühne, aber es gibt auch Text. Das Stück vereint viele Genres. 

Die Bühne der Kammerspiele ist nicht so klein.

Ich arbeite mit Jozef Wouters zusammen, einem dynamischen und renommierten Bühnenbildner aus Belgien. Er hat seine eigene Art und Weise zu arbeiten, denn er recherchiert immer zum Ort, wo wir spielen. Ich denke, ich muss es noch geheim halten, aber es gibt eine sehr spezielle Geschichte dazu. Er baut wohl ein Haus auf die Bühne, aber was es damit auf sich hat, verrate ich noch nicht. 

Wie wichtig ist die Musik im Theater, könnte sie die gleiche Funktion wie im Kino haben?

Das kann ich nicht sagen. Ich bin nicht so ein Fan von Kinofilmen. Aber Musik spielt für mich im Theater eine wichtige Rolle, es ist ein führender Faktor. Sie ist stark und kann zu allen sprechen. Es ist das stärkste Element, das du einsetzen kannst. 

Neben der Regie sind Sie für die Kostüme verantwortlich – aber werden Sie als Countertenor in Bochum auch singen?

Gestern habe ich tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich die Aufführung mit einem Song eröffnen sollte, aber das muss ich nochmal überdenken. Ich würde lieber ein Konzert in Bochum geben. 

Give up die alten Geister | 11. (öffentliche Probe), 13. (P), 14., 21.12., 5.1. | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55

Interview: Peter Ortmann

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