Eine unerfüllte echte Liebe zerbricht in den goldenen 1920ern zwischen Prohibition, Jazz und Charleston. Der große Gatsby, Titelfigur des 1925 erstmals veröffentlichten Romans vom US-amerikanischen Autor F. Scott Fitzgerald, ist so groß eigentlich nicht. Nachdem er im Ersten Weltkrieg seine geliebte Daisy zuhause an den Polospieler Tom verloren hat, versucht er, mit Hilfe undurchsichtiger Geschäfte zum Millionär geworden, sie zurück zu gewinnen, alles mitten im Flair dekadenter US-amerikanischer Nachkriegsgier nach Lust, Anerkennung und Alkohol. Im Bochumer Schauspielhaus inszeniert Zita Gustav Wende diesen, auch immer mal wieder schick verfilmten Stoff um den geheimnisvollen, aber einsamen Mann (hier gespielt vonGuy Clemens)als Theaterstück in den Kammerspielen. Angesichts wohl eklatanter Defizite in zeitgenössischen Theatertexten scheint das dramatische Verhandeln großer Romane der letzten einhundert Jahre auf den Brettern der Welt wohl gängige Praxis zu werden, wohl auch um mit diesen aus Hollywood bekannten Stoffen Zuschauer in die Theatersäle zu ziehen. Auch die „nervöse Transit-Zeit“ damals reflektiere unsere Gegenwart, einer Zeit, wo niemand mehr wisse, wie die Zukunft aussehen könnte, erklärt sinngemäß das Theater. Nur Alkohol scheintdamals wie heute eine zentrale Rolle bei den Furchtsamen zu spielen, vielleicht endlich Zeit, ehemalige Feldpflanzen aus der Knaster-Ächtung zu entlassen.
Auch damals ging es in der fiktiven Stadt West Egg um Idealismus, Widerstand gegen Veränderungen und soziale Umbrüche. Der Tanz auf dem Vulkan wird für die US-amerikanische Schickeria zum Lebensinhalt. Durch Wirren und Irrungen und der schier „dramaturgisch auffälligen“ Verkettung von Zufällen schafft es dabei sogar Gatsby seiner Obsession des Lebens wieder zu begegnen und am Ende für sie sogar zu sterben. Inwieweit Fitzgerald damit auch die Aufarbeitung von Schuld und Sühne verknüpft wissen wollte, entzieht sich meiner Interpretation, angesichts heutiger Machenschaften von Großindustrie und milliardenschwerer Weltraummissionare scheinen wir aber auf einer ähnlichen dekadenten Zeitspur zu reisen. Schauen wir uns an, was das Bochumer Schauspiel und Frau Wende dazu zu sagen hat.
Der große Gatsby | So 29.5. 19 Uhr (P) & 3., 19.6. | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Von Jahoo, einem Unsichtbaren und Prinzessinnen
Ruhr-Theater-Ostereier im April – Prolog 03/20
Das ewige Prinzip Projektion
Das winterlich Weibliche im kurzen Monat – Prolog 01/20
Heilige Reinigung durch Zerstörung
Kollektive Performance über Heiner Müllers „Hydra“ in Bochum – Auftritt 01/20
Schauspielspezialitäten
Interessantes Oktober-Theater an Ruhr und Niederrhein – Prolog 10/19
Fleisch oder Silikon?
Der kürzeste Theatermonat des Jahres – Prolog 01/19
„Theater ist kein Massenmedium“
Johan Simons, Bochums neuer Intendant – Premiere 11/18
Nur potentielle Wirklichkeit
Das Schauspiel in Bochum kommt spät und mit vielen Wahrheiten – Prolog 10/18
„Aufklärerisch mit großem Unterhaltungswert“
Regisseur Peter Konwitschny über seine Arbeit am „Ring des Nibelungen“ – Interview 07/22
Tacheles und Tamtam
RuhrHochDeutsch in Dortmund – Festival 07/22
Knotenpunkt der Kultur
Bahnhof Langendreer feiert 36-jähriges Jubiläum – Prolog 07/22
Die ewige Suche nach dem Glück
Drei Open-Air Theatergeschichten für den Sommer – Prolog 07/22
Existenzieller Spagat
Cooperativa Maura Morales beim asphalt Festival Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 07/22
Die im Dunklen sieht man nicht
„Dreigroschenoper“ im Rahmen der Ruhrfestspiele – Auftritt 07/22
„Die müssen unser Zusammenleben noch 70 Jahre lang ertragen“
Anne Britting über die Junge Triennale – Premiere 07/22
Fehlt es an klassischem Repertoire?
Geringe Zuschauerzahlen im Schauspiel Dortmund – Kommentar 06/22
Leiden am Fremdideal
Satoko Ichiharas „Madama Butterfly“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
Rassistische Lehrjahre
„The Kids Are Alright“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
Widerstand ist machbar, aber unbeliebt
„Die fetten Jahre sind vorbei“ am Rottstr 5 Theater – Prolog 06/22
Gewalt gegen Natur und Liebe
Peter Konwitschny eröffnet mit „Die Walküre“ den Dortmunder „Ring“ – Oper 06/22
Botswana statt Ballett
„The Sacrifice (Das Opfer)“ in Recklinghausen – Tanz an der Ruhr 06/22
Sorgsam gesetzte Signale
„A room of one’s own“ und „Suor Angelica“ am Theater Hagen – Auftritt 06/22
„Wir haben viel ausprobiert in den zwei Jahren“
Haiko Pfost über das Impulse Theater Festival 2022 – Premiere 06/22
„Viele Leute sind froh, dass sie in Bochum sind“
Liesbeth Coltof über „Hoffen und Sehnen“ – Premiere 06/22
Keine Helden im Posthumanismus
„The Shape of Trouble to come“ in Bochum – Bühne 05/22
Panenka-Heber und Dialog-Doppelpässe
„Nicht wie ihr“ im Deutschen Fußballmuseum Dortmund – Bühne 05/22