Zumindest bröckelten erste Mauern, als Lia Rodrigues 2003 dieses Projekt anstieß: Mit der Gründung des Centro de Artes da Maré in Bairro Maré, einem der größten Slums in Rio de Janeiro, eröffnete die brasilianische Choreografin und Tänzerin nicht nur einen zweiten Standort ihrer Kompanie, die Companhia de Danças. Inmitten eines Orts der Armut und Gewalt fungierte dieses freie Kunst- und Kulturzentrum zugleich als Anlaufpunkt für junge Menschen, die Lia Rodrigues kostenlos im Tanz ausbildete.
Seit mittlerweile 20 Jahren versucht die 1956 in São Paolo geborene Choreografin, Klassenschranken zu überwinden. Um Grenzen dreht sich auch ihre neue Produktion, die Anfang Juni auf PACT Zollverein zu sehen ist. „Borda“ behandelt die unsichtbaren und sichtbaren Mauern, die zunehmend unsere Welt prägen. Dazu zählen die Stacheldrähte, Grenzkontrollen oder „Push-Backs“ (Abschiebungen direkt nach Grenzübertritt) des globalen Nordens genauso wie die unsichtbaren Barrikaden gespaltener Gesellschaften. Der Titel spielt mit der Herkunft des portugiesischen Worts „Borda“, das sich vom Verb „bordar“ ableitet. Das kann „dekorieren“ oder „verschönern“ bedeuten, aber auch „sich etwas vorstellen“. Rodrigues zielt auf Verschiebungen – in Bedeutungen wie im Sozialen. In „Borda“ stellt sie sich eine Welt ohne Grenzen und Mauern vor.
Das Potenzial des Tanzes zur Veränderung erprobt Rodrigues an der Schnittstelle von Kunst und politischem Engagement. So inszenierte sie kreative Protestaktionen gegen staatliche Gewalt und Rassismus, die unter dem bis 2022 amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro zunahmen. In Produktionen wie in „Encantado“ über das südamerikanische Volk Guaraní Mbya verwandelte Rodrigues die Bühne in ein Forum indigener Traditionen als Kontrast zu westlich-kapitalistischen Verwertungsmaßstäben. „Wir müssen die Dinge anpacken. Jeder sollte das tun, auch in Deutschland“, so zitiert sie der Tagesspiegel 2019. „Man muss nicht nur profitieren, sondern man sollte auch diejenigen sehen, die nicht denselben Komfort haben, um miteinander zu arbeiten. Ansonsten hat man nicht die Gelegenheit, etwas zu ändern.“
Borda | 3., 4.6. je 20 Uhr | PACT Zollverein | 0201 289 47 00
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