Wenn einer meiner Berliner Volksbühne-Helden in Dortmund Regie führt, dann wird es schon ein regionaler Kracher werden“, dachte der geneigte Schreiberling und schaute auf die neue Spielzeit am Theater. „Früchte des Zorns“ nach dem Roman von John Steinbeck. O.k. Der Roman handelt von den Farmern, die im US-Amerika der 1930er Jahre nach Börsencrash, Wirtschaftskrise und anhaltender Dürre von den Großgrundbesitzern vertrieben wurden und zu Hunderttausenden in langen Trecks nach Kalifornien zogen, weil dort gut bezahlte Arbeit versprochen wurde, aber nur Ausbeutung lauerte. Irgendwer musste die Zeche für die Große Depression ja bezahlen.
Eine von ihnen war die Großfamilie Joad, die der spätere Nobelpreisträger Steinbeck auf dem Treck begleitete und für den hautnah recherchierten Roman auch 1940 den Pulitzer-Preis erhielt, trotz Anfeindungen aus den Reihen der politischen Rechten und der Großgrundbesitzer. Oder vielleicht gerade deshalb? „Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, so wie Leben gelebt wird und nicht wie Bücher geschrieben werden“, sagte Steinbeck.
Seine Protagonisten sind Teil einer dieser zahlreichen No-Future-Generationen, die das 20. Jahrhundert mit seinen ausbeuterischen Gesellschaftssystemen, Ost wie West, am Fließband produziert hat. Und doch - die Verwandlung des erwachsenen Sohnes Tom Joad, der wegen eines Notwehr-Deliktes von der Obrigkeit verfolgt wird, der seine Familie verlässt und sich dem Kampf für die Rechte der Migranten widmet, hat viele Künstler inspiriert. Woody Guthrie schrieb eine Ballade und Bruce Springsteen nannte sein 11. Studioalbum „The Ghost of Tom Joad“.
Regisseur und Schauspieler Milan Peschel, der einst auch zum Theatertischler an der Deutschen Staatsoper Berlin ausgebildet wurde, inszeniert in Dortmund nach Steinbecks Roman, wird sich also auf das Wesentliche der umfangreichen Familiengeschichte ums leidvolle Pfirsich pflücken unter der Sonne Kaliforniens beschränken. Schauen wir, was uns seine Theater-Erzählung fürs 21. Jahrhundert sagen wird, wo es solche sozialen Zustände für Erntehelfer ja überhaupt nicht mehr gibt.
Früchte des Zorns | R: Milan Peschel | So 10.10. 18 Uhr | Theater Dortmund | 0231 502 72 22
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