Zwei Opern hat Vogler bisher als „Composer in Residence“ für die Junge Oper geschrieben, im Herbst folgt die dritte, eine Kinderoper mit dem Titel „Klangstreich“.
trailer: Herr Vogler, Sie sind schon als Jugendlicher zur Oper gekommen und haben bereits mit 18 Jahren die Satire-Oper „Streichkonzert – Con brio ohne Kohle“ am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen uraufgeführt. Wie kam es dazu?
Marc L. Vogler: Zur Oper gekommen bin ich durch das Musiktheater im Revier. Ich bin ja in Gelsenkirchen aufgewachsen und da ist das Musiktheater eine Institution. Zeitweise habe ich beinahe in diesem Haus gelebt, jede Produktion gesehen, von Barockoper bis Musical, Praktika im Haus gemacht, im Jugendorchester mitgespielt. Es waren meine Großeltern, die mich in eine Kindervorstellung des „Barbiers von Sevilla“ mitgenommen haben. Das war der Auslöser. Ich empfand die Aufführung wie einen Film, der live stattfindet, mit einer Unmittelbarkeit, die mir kein Tablet, kein Fernseher geben kann. Und das gepaart mit einer Klangwucht aus dem Orchestergraben – das hat mich begeistert.
Und der Weg zum Schreiben von Opern, wie hat der ausgesehen?
Man muss dazu sagen, ich hab mir als Jugendlicher Geld verdient mit Barpiano, auf Firmenevents oder in Blumenhäusern. Und da hatte ich ein etwas makabres Hobby, denn es ist ja recht langweilig, vier Stunden zu spielen: Ich habe improvisiert, und zum Beispiel, wenn eine Dame mit so einer Leopardenhandtasche hereinkam, „Pink Panther“ gespielt. Das hat dem Besitzer des Blumenladens nicht so gut gefallen, aber dem Publikum hat es natürlich Freude gemacht. Dann dachte ich irgendwie, das müsse man aufschreiben. So kam ich also über die Improvisation am Klavier zur Komposition. Und wenn man dann die beiden Elemente zusammenfügt, also das improvisierende Barpiano auf der einen Seite und die Liebe zum Musiktheater auf der anderen, dann kommt die Komposition von Musiktheater raus. Mein erstes Stück habe ich in jugendlicher Hybris dem Intendanten Michael Schulz präsentiert. Und zu meiner großen Freude und Überraschung stellte er mir das Kleine Haus für einen Abend zur Verfügung. Das war ein unfassbarer Ansporn und eine Initialzündung.
Ihr Werkverzeichnis zeigt, dass sie in rascher Folge weitere Musiktheaterwerke geschrieben haben. Wie kommt man als junger Komponist in diesen Markt? Die Möglichkeiten, eine Uraufführung zu bekommen, sind ja heiß umkämpft.
Das ist wahr. Ich habe die Oper „Streichkonzert“ damals Manfred Trojahn gezeigt, kam darüber als sein letzter Schüler zum Studium zu ihm an die Musikhochschule Düsseldorf. Nach dem Master in Köln und vielleicht ausgelöst durch den Gewinn des Kompositionspreises des Deutschen Musikwettbewerbs 2022 hat mich die Oper Dortmund angeschrieben.
Wie haben Sie den Unterricht bei Manfred Trojahn empfunden? Was haben sie für sich mitgenommen?
Ich habe sehr viel mitgenommen. Das Prägendste an seinem Unterricht war: Er hat jede Stunde aus der Praxis berichtet. Es gab nur Gruppenunterricht, und alle Partituren wurden in der Gruppe besprochen. Da steht man natürlich unter einem gewissen Druck, wenn man seine ersten Kompositionen direkt in diese Öffentlichkeit gibt. Unter Umständen wird dann auch ein Stück im übertragenen Sinne in der Kompositionsklasse zerrissen. Das war eine fantastische Vorbereitung: Wenn man nachher vor ein Orchester tritt, überrascht einen der Druck nicht mehr. Dazu kam Trojahns unfassbare Erfahrung im Opernbereich. Diesen Schatz hat er mit uns geteilt. Das ist für mich viel wertvoller als jede Kompositionsschule oder jedes Instrumentationsbuch. Das ist lebendig.
Haben Sie etwas wie eine Kompositionstechnik oder ein Verfahren des Komponierens mitgenommen?
Unsere Klasse war wahnsinnig divers. Ich war in Stilcollagen unterwegs und habe auch mal Stücke mit Jazzanleihen mitgebracht. Andere haben etwa komponiert wie Helmut Lachenmann. Ich glaube, er hat jedem die entscheidenden Ratschläge gegeben, wo er sie brauchte. Und vor allen Dingen keine Klasse gehabt, die so schreibt wie Trojahn. Das gibt es sonst ja oft, dass die Studenten schreiben wie der Lehrer.
Da muss sich die Frage nach den Vorbildern anschließen. Ihre Collagentechnik bedeutet ja auch, dass Sie sich sehr gut bedienen in der Musikgeschichte.
Ich verlustiere mich in diversen stilistischen Abgründen. Je schlimmer, desto besser. Ich bin auch ein absoluter Fan von kulturellem Treibgut. Am liebsten mache ich, wovon die Kollegen sagen, da geht man nicht ran. Auch an Musik, die ich selbst niemals hören würde. In meiner neuen Oper für Dortmund zum Beispiel wird gejodelt.
Stichwort Dortmund: Sie haben als Hauskomponist bereits zwei Opern für die Junge Oper geschrieben, im Herbst folgt die dritte, eine Kinderoper mit dem Titel „Klangstreich“. Gehen Sie eine Oper für Familien oder Kinder anders an?
Nein. Ich glaube, die Verantwortung, der Anspruch ist immer derselbe. Ich muss mir noch eine Frage mehr stellen: Da ich viel mit Referenzen arbeite, muss ich fragen, ob diese Bezüge verstanden werden. Die Liebe zum Detail, die Begeisterung für die stilistische Vielfalt ist bei einem Kinderstück gleich – wenn nicht noch höher. Denn Kinder sind gnadenlos ehrlich. Wenn ich es schaffe, ein Kinderpublikum mit Musik zu begeistern, dann weiß ich, dass da Qualität drinsteckt.Ich finde es spannend, ein Stück zu schreiben, das Kindern Freude macht und eine zweite Ebene hat. In meiner neuen Kinderoper zum Beispiel gibt es gegen Ende ein subtiles „Carmen“-Zitat. Das werden die Kinder nicht verstehen, aber die Erwachsenen. Mir dient es dazu, „Oper“ als Erzählebene darzustellen. Ich verwende Stilcollagen in der Kinderoper genauso wie in der Oper für Erwachsene.
In „Klangstreich“ geht eine Note auf Reisen und findet sich in verschiedenen Zusammenhängen wieder?
Musikalisch reist diese Note durch verschiedene Stilistiken. Die Note fällt aus einem Geburtstagslied heraus und kommt an einem Bandkeller vorbei, in dem Rockmusik geprobt wird. Die Herausforderung für mich ist, da wir nur drei Sänger, kein Klavier und kein Orchester auf der Bühne haben: Wie schaffe ich jetzt Rockmusik, die ja maßgeblich vom Schlagzeug lebt, ohne ein Schlagzeug zu haben? In dem Fall lasse ich einen Sänger beatboxen. Dann geht die Note weiter in ein Jazz-Café, auf ein Filmset und entdeckt im Radio klassische Musik. Das alles muss ich mit dieser sehr reduzierten Besetzung darstellen. Aber Kreativität entsteht manchmal aus genau dieser Reduktion.
Welche Projekte beschäftigen Sie derzeit noch, auch außerhalb von Dortmund?
Aktuell schreibe ich ein Stück für das Jubiläum eines französischen Konservatoriums für Orchester und Chor. Gerade fertig ist ein Stück für den Gürzenich-Chor in Köln, eine Vertonung eines Textes von Heinrich Böll, das am 16. November in der Trinitatiskirche uraufgeführt wird. Fertig ist auch ein „Grande Valse macabre“ für den MozArte-Klavierwettbewerb in Aachen, der am 5. September in der Hochschule für Musik und Tanz erstmals erklingt.
Klopft auch die große Oper an die Tür?
Oh ja, aber darüber kann ich noch nicht sprechen.
Klangstreich | 14.9. (P), 5.10., 15.11., 13.12., weitere Termine buchbar unter jungeoper@theaterdo.de | Operntreff, Opernhaus Dortmund | 0231 502 72 22
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