Schürze anziehen, Haube auf den Kopf und fertig ist die Kunstfigur: eine „Putze“, die – wie es so schön im Ruhrgebiet heißt, „sacht, wat Tacheles is.“ Diesen Look streift sich Esther Münch über, wenn sie als Reinigungsfachkraft Waltraud Ehlert auftritt. Damit hat die Komikerin eine Kunstfigur geschaffen, die fast schon zum Anforderungsprofil in der deutschsprachigen Belustigungsindustrie gehört, in der Entertainer ihre eigene Gag-Nische kreieren: vom prolligen Macker-Prototypen à la Atze Schröder bis hin zum Chlor-Comedian Bademeister Schallupke.
Und Waltraud Ebert schaut eben auf die Welt aus der Sicht einer bescheidenen Putzfrau: schnoddrig und rustikal. Im Autohaus Pflanz, wo Münch am bereits fünften Tag der dritten Bochumer Kreativ Rallye (23. Februar bis 1. März) auftrat, kam das gut an.
Ein Thema, das aktuell viele AkteurInnen aus Kabarett und Comedy als Gag-Vorlage aufgreifen, ist die Schnelllebigkeit der Gesellschaft. Immer unterwegs, immer erreichbar sein: „Zick zack, flott“, so sehe es heute aus, wundert sich Waltraud Ehlert über die Jüngeren, die permanent mit dem Smartphone beschäftigt seien: „Wenn du nur noch in die Mattscheibe guckst, kannse ja nichts mehr in den Gesichtern der Menschen erkennen.“ Eine Entschleunigung lebe dagegen ihr Mann Willy vor. Jedoch kippe ihr Gatte nicht selten ins andere Extrem, wenn er sich morgen aufs Klo zurückzieht. Für 30 Minuten: „Betet er die Kacke raus?“
Esther Münch weiß diesen derben Fäkal-Humor auch politisch auszuschlachten. Etwa wenn sie über die Bonobos referiert, die sich vor allem durch eine Tätigkeit von anderen Affenarten unterscheiden: den häufigen Sex. Bis zu 20 mal am Tag. „Da kannst du ja nur noch schlafen und essen“, so die Comedienne über die Tatsache, dass die Bonobos sich anders als andere Arten nicht gegenseitig bekriegen. Ihre pazifistische Pointe: „Sie ficken für den Frieden.“ Denn im Gegensatz zu anderen Schimpansen seien sie in einem Matriarchat organisiert.
Und wie eine resolute Matriarchin stampft schließlich auch diese Waltraud Ehlert durch die gut besuchte Halle, in der sonst Kraftfahrzeuge verkauft werden. Fast in der hintersten Reihe stoppt sie, um drei Gäste vor auf die Bühne zu holen. Dort bittet sie diese, ihre selbst angefertigten „Omamojis“ (ihre analoge Alternative zum inflationären Emoji-Gebrauch in Messenger-Chats) mimisch nachzuäffen. Angenehm scheint das offensichtlich keinem auf der Bühne zu sein. Doch zum Dank überreicht die Entertainerin allen ein Geschenk: ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nicht schon wieder ich!“
Was dieser Satz bedeutet, verrät Waltraud Ehlert auch prompt dem Publikum: „Wer dieses T-Shirt in meiner nächsten Show trägt, muss nicht auf die Bühne“, sagt sie. Und schiebt direkt eine Pointe über die Männer hinterher: „Ehemänner nehmen es ja gerne zum Schlafen.“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Kostenlos und trotzdem exklusiv
Die Bochumer Kreativ Rallye steht für Kultur unabhängig vom Geldbeutel – Musik 03/19
Interaktiv ist der Witz
Finale der Bochumer „Kreativ-Rallye“ mit Helmut Sanftenschneider – Bühne 03/19
Rallye der Kreativen
Konzerte und Comedy – kostenlos in Bochum vom 23.2.-1.3.
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
Verloren im Nebel
Das Duo Paula Rot im Foyer des Theaters Duisburg – Bühne 03/24
Glücklich bis ans Ende?
„Star-Crossed Lovers“ in Essen – Prolog 03/24
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Liebe und Gewalt
„Told by my Mother“ in Mülheimer a.d. Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/24
Über die Familie
45. Duisburger Akzente – Festival 03/24
Sternfahrt zum Shoppen
„Einkaufsstadt, 4300“ von Trio ACE in Essen – Prolog 03/24
„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24
Bakterien im Spa
„Ein Volksfeind“ am Theater Dortmund – Prolog 02/24
Vom Elvis zum Cowgirl
„The Legend of Georgia McBride“ am Theater Oberhausen – Prolog 02/24
„Es kommt zu Mutationen zwischen den Figuren“
Intendant Ulrich Greb inszeniert „Der Diener zweier Herren“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/24
Postapokalyptische Manege
„Essence“ von Urbanatix am Schauspielhaus Bochum – Bühne 02/24
Die Erbsen sind immer und überall
„Woyzeck“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/24
Fortschritt ohne Imperialismus
„Libya“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/24
Poesie ums eigene Ich
Next Level Slam in Bochum – Bühne 01/24
Hochzeiten und Hüte
„Hello, Dolly“ am MiR in Gelsenkirchen – Tanz an der Ruhr 01/24
„Ich finde unbekannte Werke spannend und befreiend“
Regisseurin Tatjana Gürbaca über „Fausto“ am Aalto-Theater Essen – Interview 01/24
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
„Die Geschichte wurde lange totgeschwiegen“
Ebru Tartıcı Borchers inszeniert „Serenade für Nadja“ am Theater Oberhausen – Premiere 01/24
Subkultur trifft Artistik
„X-Mas-Shows“ von Urbanatix in der Grugahalle Essen – Festival 12/23
„Die Zuschauer sollen die Zeit vergessen“
Christian Eggert über den Umzug von Urbanatix nach Essen – Interview 12/23