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Kämpfen im Konfetti: Claudia Spill und Nicole Nord
Fotos: Presse

Im Konfetti geht die Welt zu Grunde

09. Februar 2016

andcompany&co. im Ringlokschuppen Mülheim – Theater Ruhr 02/16

Die letzte Stimme, die wir hören werden, ist mit einem fehlerhaften Soundeffekt versehen. Und sie verspricht uns eine neue Zeit: „Eine reine Zeit. Das ist der Krieg.“ Und poppig die Welt zu Grunde: in Superheldenkostümen, zum stampfenden Viervierteltakt, im Konfettiregen. Und die Reiter der Apokalypse sind Claudia Spill, Nicole Nord und Sascha Sulimma – die Rache der „Radiation Generation“ an ihren Vereinnahmern, die Retter der Friedenstaube in Zeiten von Montagswahnmachen und Pegida. „Warpop Mixtake Fakebook Volxfuck Peace off! Schland of Confusion“, so der ebenso überladene wie treffende Titel ihres Stücks, das die Berliner von andcompany&co am 6.2. im Ringlokschuppen Mülheim auf die Bühne brachten.

Bewusst eklige Pophits im schmierigen Gewand der 80er, Geheimtinte und Lichteffekte, Querverweise in alle popkulturellen Himmelsrichtungen – wo soll man anfangen, wenn man diesen Abend zusammen fassen will? Warpop zielt in seiner bewussten Hysterie direkt aufs Nervensystem. Vielleicht hilft da ja eine neurologische Metapher weiter. Verborgen unterm Hirnfleisch unseres Hinterkopfes sitzt die sogenannte Brücke – der Hauptverkehrsknoten sämtlicher Signale unseres zentralen Nervensystems, wo zum Feierabendverkehr (sprich im Traum) das Chaos tobt.

Querverweise in alle Himmelsrichtungen

Etwa so muss man sich das Konzept hinter Warpop vorstellen:  Facebook, Terminator, George Orwell, Friedensbewegung, Sarah Connor (beide), „Pegida“, Gudrun Pausewang, konkret, compact, Jürgen Ellsässer, Bundeswehr-Werbung, Zivildienst-Abschaffung, Kalter Krieg Volume I, Kalter Krieg Volume II, ISIS, Flüchtlinge, die Kinder von Schewenborn, Dubstep, Pop und Pershing II – alles trifft sich zur szenischen Massenkarambolage im Ringlokschuppen. Am Ende wird alles von Konfetti begraben und Nicole Nord (das Friedensmädchen) und Claudia Spill (besorgte Bürgerin mit „Baby an Bord“) treffen sich zur immer gleichen Kampf-Choreographie auf pinkem Müll. Eine großartige Szene.

Zum Schluss erhebt sich dann doch ein mahnender Zeigefinger aus dem Chaos. Will die company ihr Publikum belehren oder überfordern? Beides gleichzeitig ist schwierig. Genau so, wie heutzutage noch George-Orwell-Gestalten wie hier den Big Brother zu bemühen: Dass wir gläsern sind, weiß jeder. Juckt nur keinen.

Nach der Wahnsinns-Show juckt es am Hinterkopf. Vielleicht sind es die neurologischen Folgeerscheinungen. Sie könnten stärker sein. Vielleicht sollten sie auch wehtun. Vielleicht hätte der Warpop-Mindfuck sogar noch etwas stärker sein können. Aber wie politisches Theater heutzutage noch treffender seien könnte, weiß ich auch nicht.

Wer das Stück der Berliner Künstlergruppe noch sehen will – was man nur empfehlen kann – muss leider etwas weiter reisen: Die nächste Aufführung ist am 13.2. in Münster, im Theater Pumpenhaus.

Dominik Lenze

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