Silbener Dancefloor, Bambi auf dem Monitor und dumpfe Glockenschläge, die wohl eine blutige Nacht einläuten. Der Screen wechselt auf die Pferderennbahn, es wird Licht, eine junge Frau hetzt durch ihren Lebensabschnitt, die Ängste vor dem Versagen im Kapitalismus werden übermächtig. So beginnt im kleinen Dortmunder Studio-Theater die atemlose Aufarbeitung des modernen Leistungsgebots im Stück „Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai. Wer sich jetzt an Murnaus Gruselschocker von 1922 erinnert fühlt oder gar an Klaus Kinskis Phantom der Nacht von 1979 – alles richtig, aber nur als Analogie, eine 100-Minuten-Sinfonie des Grauens wird es dennoch werden.
Das erste Menschlein im Pferderennen um Erfolg ist eine junge Frau (Valentina Schüler), die sich auf dem silbernen Dancefloor windet. Anspruch und Wirklichkeit sind aus den Fugen geraten, dennoch verlässt sie erschöpft ihre Therapiesitzung und findet sich im Alptraum ihrer gequälten Psyche wieder, die Welt versinkt in ein drohendes Szenario: Das Universum wartet in der Inbox, die Qualen scheinen real zu werden, eine Eruption der Gefühle. Paul Spittler inszeniert den Kapitalismus-Horror fokussiert auf ein kleines Setting, das sich im Laufe des Abends geschickt nach hinten öffnet und im Castorfschen Sinne dem Zuschauer verborgene Räume durch Live-Kameras öffnet. Eine durchgehende Choreografie unterstützt in der ersten Stunde die dialoglose Erzählung der drei Nosferatu-Protagonisten.
Der zweite, der in dieser dunklen Nacht durch die Höllenkreise seines Selbst wandern muss, ist ein schwuler Makler (Linus Ebner), der in Rennes teure Häuser an solvente Kunden verkaufen soll. Doch die französische Provinz ist zu sauber, zu „normal“ für seine Bedürfnisse und so öffnet er seinen pubertären Wandschrank, öffnet seine Inbox und – findet den orgiastischen Trip in die von Totenköpfen und Knochen übersäte Unterwelt tief unter den Straßen von Paris, AIDS inklusive. In dieser Nacht scheinen Raum und Zeit nicht mehr zu gelten, permanente Schlaflosigkeit scheint den Gedanken Flügeln zu verleihen, der frei gewählte Vampirismus der eigentlich schwachen Egoismen führt in einen dunklen Abgrund voller Reize, die niemand mehr ertragen kann.
Langsam fährt der Raum hinter der Videowand zurück, vergrößert sich, wird zum Zimmer. Das dritte Phantom der Nacht ist eine erschöpfte Frau (Lola Fuchs), die gerade von der Arbeit kommt. Vor ihr halten Motorräder, und zwei Männer bieten ihr einen goldenen Helm an. Angesichts ihrer völlig überreizten Sinne lässt sich schließlich mitnehmen und findet sich in der Spiegelwelt einer Organ-Klinik wieder, wo ihr Körper Stück für Stück dem Transplantationsmarkt übereignet wird. Mit viel Laszivität und Witz und einer blutigen Badewanne auf goldenen Löwenfüßen steuert Spittler die Vampire durch die Nacht. Dabei wird schnell klar: Für das Gebot der freiwilligen Überforderung saugen sich die Unternehmer bis zur Blutleere aus, unfähig, sich dem Diktat der Optimierung zu widersetzen, unfähig, ihren Selbstwert zwischen Nutzen und eigenen Sehnsüchten zu verbessern. Das Prinzip Nosferatu eben. Die dunklen Fürsten der Gesellschaft leben gut davon.
Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu | 24.4. 18.30 Uhr | Theater Dortmund | 0231 502 72 22
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