Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ wurde in den letzten Jahrzehnten so häufig selbst an kleinen Häusern hergenommen, dass er gründlich auserzählt wirkt. Nach Frank Castorfs radikalem Zugriff in Bayreuth wurde – wie vorher auch schon – nicht viel Überzeugendes mit der Tetralogie vermeldet. Die Ankündigung eines neuen „Rings“ an der Oper Dortmund weckte also eher gemischte Gefühle, wäre da nicht Peter Konwitschny. Er, der Altmeister des Regietheaters, widmet sich nun zum ersten Mal in seiner über fünfzigjährigen Karriere dem „Ring“ als Ganzem. Bisher hatte er nur „Götterdämmerung“ inszeniert – vor 22 Jahren in Stuttgart als Teil eines Zyklus, der keiner war. Denn Klaus Zehelein, damals Intendant, ließ die vier Opern von vier verschiedenen Teams erarbeiten. Gewollte Diskontinuität, später in Essen unter Stefan Soltesz wiederholt.
Antizyklisches Signal
Auch der Dortmunder Intendant Heribert Germeshausen will den „roten Faden“ gekappt wissen. Ein Regisseur, vier Ausstattungsteams: So soll allein Konwitschnys Hand die „Ring“-Teile verknüpfen. Als antizyklisches Signal beginnt man mit der „Walküre“. Die Opern sollen für sich stehen. Das hat Tradition, denn früher wurden vor allem an kleineren Theatern durchaus einzelne „Ring“-Teile separat inszeniert.
Konwitschny erzählt nun in Dortmund frisch, wenn auch nicht unbedingt neu, vom Scheitern zweier großer Liebesbeziehungen – der zwischen den Geschwistern Siegmund und Sieglinde, und der zwischen Vater Wotan und Tochter Brünnhilde. Beide zerbrechen an Gesetzmäßigkeiten, die Wotan mit einem Vergehen gegen die Natur in die Welt gebracht hat: Zu Beginn, noch vor der Musik, wird ein grünendes Bäumchen geknickt: die Weltesche, aus deren Holz Wotan seinen Speer schnitzen wird. Die Verletzung der Natur beginnt nicht erst mit dem Edelmetall-Raub im „Rheingold“.
Verletzung der Natur
Detailbewusst und mit bisweilen schnoddrigem Zugriff zeigt Konwitschny, wie sich der junge Wilde Siegmund (kristallharter Tenor: Daniel Frank) und die von Gewalt gezeichnete Sieglinde (wunderbar differenziert: Astrid Kessler) aus dem brutalen Zugriff Hundings (mehr schneidend als schwarz: Denis Velev) befreien. Wie sich Wotan mit altlinkem Pferdeschwänzchen (gefährdet und am Ende erschöpft: Noel Bouley) der aufgedrehten Managerin Fricka (gefährlich: Kai Rüütel) beugen und wie er seinen Liebling Brünnhilde (untadelig: Stephanie Müther) opfern muss. Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker erzählen farbenreich und dramatisch gespannt, im Lyrischen manchmal zäh und ohne Blühen. Am Schluss kein Feuerzauber: Um Brünnhilde flammt nur die Musik von sechs Harfen links und rechts des Orchestergrabens. Karg, aber berührend.
Die Walküre | So 12.6. 16 Uhr, Do 16.6. 16 Uhr, WA im Ring-Zyklus 22.-25.5.2025 | Oper Dortmund | Info: 0231 502 72 22
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Aufklärerisch mit großem Unterhaltungswert“
Regisseur Peter Konwitschny über seine Arbeit am „Ring des Nibelungen“ – Interview 07/22
Der Klang der Straße
„Nordstadtoper“ in Dortmund – Oper in NRW 06/22
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Ballett der Spitzenklasse
„New London Moves“ in Dortmund
Nicht nur zugucken
Interaktive Improvisation am Theater Dortmund
Die Entzauberung des Patriarchats
„Zwischen zwei Stürmen“ am Schauspiel Dortmund – Bühne 12/21
A-Capella-Oper
Kirsas Musik im Theater Dortmund
Tacheles und Tamtam
RuhrHochDeutsch in Dortmund – Festival 07/22
Knotenpunkt der Kultur
Bahnhof Langendreer feiert 36-jähriges Jubiläum – Prolog 07/22
Die ewige Suche nach dem Glück
Drei Open-Air Theatergeschichten für den Sommer – Prolog 07/22
Existenzieller Spagat
Cooperativa Maura Morales beim asphalt Festival Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 07/22
Die im Dunklen sieht man nicht
„Dreigroschenoper“ im Rahmen der Ruhrfestspiele – Auftritt 07/22
„Die müssen unser Zusammenleben noch 70 Jahre lang ertragen“
Anne Britting über die Junge Triennale – Premiere 07/22
Fehlt es an klassischem Repertoire?
Geringe Zuschauerzahlen im Schauspiel Dortmund – Kommentar 06/22
Leiden am Fremdideal
Satoko Ichiharas „Madama Butterfly“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
Rassistische Lehrjahre
„The Kids Are Alright“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
Widerstand ist machbar, aber unbeliebt
„Die fetten Jahre sind vorbei“ am Rottstr 5 Theater – Prolog 06/22
Botswana statt Ballett
„The Sacrifice (Das Opfer)“ in Recklinghausen – Tanz an der Ruhr 06/22
Sorgsam gesetzte Signale
„A room of one’s own“ und „Suor Angelica“ am Theater Hagen – Auftritt 06/22
Dekadenz und Obsession
„Der große Gatsby“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 06/22
„Wir haben viel ausprobiert in den zwei Jahren“
Haiko Pfost über das Impulse Theater Festival 2022 – Premiere 06/22
„Viele Leute sind froh, dass sie in Bochum sind“
Liesbeth Coltof über „Hoffen und Sehnen“ – Premiere 06/22
Keine Helden im Posthumanismus
„The Shape of Trouble to come“ in Bochum – Bühne 05/22
Panenka-Heber und Dialog-Doppelpässe
„Nicht wie ihr“ im Deutschen Fußballmuseum Dortmund – Bühne 05/22