Die Bühne mit ihrem hellen Bodentuch und den kleinen Erhebungen ähnelt einer Wüste. Unendlich, gestaltlos – kein Ort, den uns die Romantik als verwunschen versprochen hatte. Immerhin: Der Nebel wabert undurchdringlich durch Bochums Zeche Eins, fahle Lichter glimmen, man hört ein Schaben und Schlurfen. Doch dann beschreibt eine Stimme ganz prosaisch, dass Regisseur Florian Fischer eine schlaflose Nacht hatte und zwischen Wachen und Träumen… Man ahnt es: Die Geister sind los am Bochumer Schauspielhaus und der Regisseur imaginiert sich als Medium der Beschwörung, der die Untoten heraufruft. Nun ist Theater per se Totenbeschwörung und das Gespenstische zudem seit Jahrhunderten untrennbarer Teil eines bürgerlichen Habitus. Überlebenswichtiger irrationaler Restbestand, als Schutz vor und Futter für Aufklärung. Fischer versucht nun diese gespenstischen Spurenelemente sozialkritisch und identitätspolitisch funktionabel zu machen.
Da wird die Bestrafung der Gynäkologin Kristina Hänel zitiert, weil sie Beratungen zur Abtreibung anbot und damit ein Gespenst ans Licht geholte hatte. Bilder unseres Gedächtnisses von längst Verschwundenem werden beschworen. Ein Gestell, das ein Kreuz und einen zerbrochenen Davidstern zeigt, geht in Flammen auf – eine Anspielung auf den rassistischen Kuklux-Klan? Die vier Performer Ann Göbel, Karin Moog, Max Göran, Tiran Normanson stellen eine Aufnahmesession aus der Frühzeit der Fotografie nach, als lange Belichtungszeiten viele Geistererscheinungen auf den Abzügen produzierten. Die Mutter eines Neugeborenen erzählt von ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung, es gibt Verweise auf die Verbrennung menschlicher Körper von Hexen, Juden oder Homosexuellen. Fischer will nicht nur das Gespenst als Repräsentation der gesellschaftlich Ausgeschlossenen und Marginalisierten dingfest machen. Er zielt auch auf die Wahrnehmung der Geister in Geruch, Spüren und Erinnerung. Das ist ehrenwert, doch dazu reichen ein paar wabernde elektronische Sounds und eine beliebige Choreografie nicht aus. Und da das Thema längst Teil der Theoriediskussion ist, hätte man auch mehr gedankliche Schärfe erwarten dürfen. So versandet der Abend letztlich in ästhetischem Raunen, das die Komplexität des Gespenstischen nicht wirklich erfasst.
„Geister“ | R: Florian Fischer | 30., 31.1., 4.2. 19.30 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
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