Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
14 15 16 17 18 19 20
21 22 23 24 25 26 27

12.578 Beiträge zu
3.804 Filmen im Forum

Mit Wut und Körpereinsatz: Schauspielerin Armelle Charlie Ntodouah Etongo
Foto: Nils Voges

Glotzt nicht so kolonialistisch!

15. April 2019

„Sawtche Baartman: Une histoire. Une vie“ am 12.4. im Ringlokschuppen in Mülheim – Bühne 04/19

Herrschaft durchdringt alle Blicke auf den Anderen. Als die Khoikhoi Swatche Baartmann als lebendiges Ausstellungsstück nach Europa gebracht wurde, durchschnitten sie neugierige Blicke. Als „Hottentotten-Venus“ wurde Baartman sowohl als wissenschaftlicher Fall als auch als exotisches Sexual-Objekt beäugt. Selbst nach ihrem Tod blieb sie eine Attraktion: Ihr Skelett, ihre Genitalien wurden aufbewahrt und in einem Pariser Museum ausgestellt. Der koloniale Blick hat sie überlebt.

Wo soll man also anfangen, um in diesem Dickicht aus Rassismus, Sexismus und gnadenloser Ausbeutung den Menschen Sawtche Baartman herauszulösen? Dort wo die Herrschaft mit anderen Mitteln fortgesetzt werden kann, dort wo der Blick herrscht. Im Theater. Daher lässt Regisseur Martin Ambara seine AkteurInnen Spiegel aufstellen. Wer sieht hier wen? Und vor allem: was? Das Publikum täuscht sich. „Ich bin eine andere“, wiederholen die drei Darstellerinnen Armelle Charlie Ntodouah Etongo, Hermine Eliane Yollo Mingele und Doris Christiane Dzoyem Meli. Sie sind eben nicht Sawtche Baartman. Oder doch, wie sie später wieder behaupten? Schließlich steht der Spiegel genau vor den Publikumsreihen. Sollen sie sich doch erst mal selber anblicken.

„Sawtche Baartman: Une histoire. Une vie“ heißt das Stück des Othni-Theaterlaborgründers Martin Ambara. Es rückt an diesem Abend ein traumatisches Stück Kolonialgeschichte ins Gedächtnis und erteilt dem europäischen Theaterrepertoire eine radikale Absage: von der Antike, über Shakespeare bis zur Postmoderne. Denn was erzählt dieser Kanon schon vom Horror des Kolonialismus? Offenbar nicht allzuviel.

„Das ist kein Theater“ – eine der Ansagen, die immer wieder durch den Theatersaal raunen. Masken, Distanz, Mimesis, Katharsis – allesamt Kategorien, die an diesem Abend provokant in der ästhetischen Mülltone landen. Erwähnt wird ein Angebot des Goethe-Instituts, eine kamerunische Version von Strawinkys „Le Sacre du Printemps“ zu finanzieren. Wohl eine der makabren Witze, die der Postkolonialismus schreibt. Stattdessen geht es darum, einen Raum des Erzählens zu finden, wie ein Meta-Kommentar verrät. Und Martin Ambara gestaltet diesen Raum mit Tanz und Trommelmusik, mit Animationen und Archivaufnahmen auf der Leinwand.

Hinzu kommen Textloops („Eine Frau ist nicht geschaffen, um einen Orgasmus zu bekommen. Eine Frau ist dafür geschaffen, um Kinder zu kriegen. Unmengen von Kindern.“) oder Original-Zitate westlicher DenkerInnen über Sawtchee Baartman, welche den sexistisch-rassistischen Komplex verbürgen: die „Hottentotten Venus“ als Verkörperung männlich-weißer Fantasien.

Um die Provokation mit diesem Blick auf die Spitze zu treiben, lässt Ambara seine AkteurInnen wie Affen hüpfen und ächzen. Bananen fliegen durch den Saal. Das ist nicht angenehm zu sehen, aber diese Inszenierung verkündet mit Krach und Wut: Glotzt nicht so kolonialistisch! Danach wird es endlich ruhiger. Und die afrikanischen Pflanzen, die zu Beginn des Abends an alle ZuschauerInnen verteilt wurden, werden am Ende auf der Bühne gestapelt. Wie eine nachträgliche, würdevolle Beerdigung für diese Sawtche Baartman. Doch ihre Ruhe findet sie erst, wenn der koloniale Blick verschwindet.

Benjamin Trilling

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Transformers One

Lesen Sie dazu auch:

Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 07/24

Liebe und Gewalt
„Told by my Mother“ in Mülheimer a.d. Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/24

Veränderung und Entwicklung
„Deep Talk“ im Mülheimer Ringlokschuppen – Prolog 11/23

Britney Spears bis Working Class
HundertPro Festival im Ringlokschuppen Ruhr – Festival 09/23

Diskursive Fronten überwinden
„Produktives Streiten“ in Mülheim – Spezial 08/23

Sommerstücke im Grünen
Hochbetrieb vieler kleiner Bühnen im Ruhrgebiet – Prolog 07/23

Folklore und Feuerwerk
ExtraSchicht im Ruhrgebiet – Festival 06/23

Dancing ‘bout my Generation
„Potere“ in Mülheim an der Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/23

Desertion gegen Kriegstreiberei
„Ein Mensch wie ihr“ in Mülheim an der Ruhr – Prolog 10/22

Gegen die Normalität
„Hundertpro Festival“ im Ringlokschuppen Ruhr – Festival 08/22

Opa und die SS
„Ur-Heidi. Eine Heim-Suchung“ von KGI – Bühne 02/22

Internationale Frauenpower
Lesungsreihe der Silent University Ruhr

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!