Vor dem Eintritt ins Jenseits steht in Religionen meist die göttliche Rechtsprechung. Ob das eigene Herz in einer Waage gegen eine Feder bestehen muss, vor der Himmelspforte um Einlass gebangt wird oder die Reinkarnation als Regenwurm oder Regent folgt – eine Würdigkeitsprüfung wartet auf jeden und jede nach Verlassen der sterblichen Hülle. Alle diese religiösen Vorstellungen eint auch, dass sie genau das sind – Vorstellungen eben, die keine Gewissheit bieten.
An einer ganz eigenen Versuchsanordnung dessen, was uns nach dem Tod erwartet, probiert sich daher das freie Theaterkollektiv Prinzip Gonzo in seinem interaktiven Projekt „Game Over“ und startet dann, wenn eigentlich alles Irdische endet. Wer sich im Ringlokschuppen auf diese Grenzerfahrung einlässt, wird bei Eintritt in den theatralen Limbo zunächst mit seiner Todesursache überrascht, die einen „Death of Week“-würdigen Abgang im Stile der Serie „Six Feet Under“ verspricht. Danach geht es für die Teilnehmenden darum, ihr individuelles Jenseits zu kreieren, das auch von ihren zu Lebzeiten getroffenen Entscheidungen beeinflusst ist – Karma lässt grüßen. Mit einem digitalen Werkzeug ausgestattet, aber der Fähigkeit zu sprechen beraubt, erwartet das Publikum schicksalsschwangere Begegnungen mit verschiedenen Figuren des Jenseits aus Religion, Mythologie und Popkultur. Wer sich in die Mischung aus Theater, Installation und Gesellschaftsspiel hinein begibt, will am Ende aber vor allem wieder heraus, was auch das Ziel des theatralen Exit-Games darstellt.
Was seit Ende der 1960er Jahre und Hunter S. Thompson für eine maximal subjektive Perspektive und Exzentrik im journalistischen Schreiben steht, bürgt bei dem seit 2014 bestehenden, fünfköpfigen Kollektiv für inszenatorische Experimente und gegensätzliche Ästhetiken. „Game Over“ verspricht daher, eine bizarre Erfahrung zu werden, die – Achtung, Spoiler! – mehr über einen selbst und die eigenen (Todes)Ängste als über das tatsächliche Jenseits verraten wird.
Prinzip Gonzo: Game Over – Theatre Gaming | Sa, 8.2. (mit interaktivem Kinderprogramm) & So, 9.2. jeweils um 18 und 20 Uhr | Ringlokschuppen Mülheim | www.ringlokschuppen.ruhr
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