Was macht ausgerechnet eine elektrische Taschenlampe auf einem Schlitten, der in einer Ausstellung über das schamanistisch-spirituelle in der Welt steht? Sie gehört zu einem berühmten Multiple von Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag momentan in der weltweiten Kunstwelt gefeiert wird. Über ein Dutzend fast parallel laufender Ausstellungen in NRW unter dem Motto „beuys2021“ zeigen, hinterfragen und ordnen die oft kaum noch greifbaren Hinterlassenschaften eines heimischen Künstlers, der fast untrennbar mit seinem Werk verbunden war und der die Aktionskunst von der Straße in Galerien und Museen brachte. Das Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau, das auch den weltweit größten Bestand (rund 5.000 Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten) an frühen Werken von Joseph Beuys archiviert, widmet sich im Jubeljahr dem Spirituellen. „Joseph Beuys und die Schamanen“ erklärt, dass für den Künstler der Schamane für etwas gestanden hat, „was in der Lage war, sowohl materielle wie spirituelle Zusammenhänge in eine Einheit zu bekommen“ (Beuys, 1981)
Werk am Planeten
Die von Barbara Strieder und Ulrike Bohnet kuratierte Schau verknüpft geschickt Kunst und Ethnologie, zeigt die Verbindungslinien animistischer Weltsichten zwischen der Geisterwelt Eurasiens, den Positionen des Künstlers und dem künstlerischen Weiterwirken von spirituellen Haltungen gegenüber dem zeitgenössischen Fortschreiten einer Trennung zwischen Mensch und Natur. Insofern war der Schlitten nicht nur ein Verweis auf urzeitliche – auch grundsätzliche – Bewegungsformen von Mensch und Materie, sondern vielleicht auch ein mitgedachtes Werkzeug für Rettungswege (mit Stablampe, Fettklumpen und Decke) aus dem Dilemma der fortgeschrittenen Entfremdung. Hier setzt der wirkmächtige Schamane an, der bei seiner Seelenwanderung in der Welt der Geister vielleicht wieder neue (alte) Wegmarken für einen spirituellen Pluralismus setzen kann, damit nicht nur der Mensch als Künstler an seiner eigenen sozialen Plastik arbeiten soll, sondern auch das fortschreitende Werk am Planeten in eine gesunde Fassung gebracht wird. Beuys hat den Vermittler bereits in einem ersten Aquarell „Im Haus des Schamanen“ (1954) als Seelenverwandten behauptet, 1972 zeigt er im Blatt „Ofenhaus des Schamanen“, wie der ausfliegende Geist seinen Weg wieder zurück zum Sender findet. Der Schamane selbst kommt in den Blättern nicht vor, eben nur sein Wirken.
Manischer Dauererwerb von Waren
Und so verbindet die großartige Ausstellung nicht nur die Kultgegenstände des indigenen Schamanismus mit Arbeiten des Künstlers Beuys, die sich auf spirituelle Formen beziehen, sondern auch mit Werken zeitgenössischer Künstler, die, ich zitiere mal die Ankündigung: „die Relevanz des schamanischen Themenfeldes für den gegenwärtigen künstlerischen, auch auf Gesellschaft und Ökologie bezogenen Diskurs beispielhaft beleuchten“. Besonders erwähnt seien hier die Arbeiten (Videos und Performances) der Niederländerin Melanie Bonajo die die spirituelle Leere der jungen Generation thematisiert und zeigt wie verteidigter Besitzstand und die Lust am manischen Dauererwerb von Waren die Entfremdung von der natürlichen Welt beschleunigt hat.
Joseph Beuys und die Schamanen | bis 29.8. | Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Er ist ganz nah am Haptischen“
Alexander Grönert über die Erwin Heerich-Ausstellung auf Schloss Moyland – Sammlung 06/22
Geister in einer urbanen Welt
Ausstellung im Schloss Moyland – Kunstwandel 02/22
Nicht aufs Kunstwerk kleben!
Schloss Moyland und seine Lieblingswerke – das Besondere 04/17
Brechung und Abstraktion
„Die Befreiung der Form“ in Duisburg – Kunst 03/23
Steinewerfer auf der Leiter
Barbara Klemm in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Kunstwandel 03/23
„Bakterien passen sich schneller an neue Umgebungssitationen an“
Kuratorin Inke Arns über die neue Ausstellung des HMKV im Dortmunder U – Sammlung 03/23
Aus dem Eis
Video-Installationen aus Spitzbergen in Recklinghausen – Ruhrkunst 03/23
Erste Berührungen
Die Malerei von Vivian Greven in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/23
„Es ist fast eine spirituelle Erfahrung“
Alain Bieber über Refik Anadol im Museum Kunstpalast – Sammlung 02/23
Das Rätsel des roten Steins
Inventur im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 02/23
Die Architektur von Licht
Hypersculptures im Zentrum für Internationale Lichtkunst – Kunstwandel 02/23
Das Leben von Innen
Martin Assig mit einem Werküberblick in der Küppersmühle – kunst & gut 02/23
Schütten statt Pinseln
Helen Frankenthaler im Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/23
Brieftauben und Vogelperspektiven
Norbert Kricke in Duisburg – kunst & gut 01/23
Sie macht ihre Reisen im Internet
Thomas Seelig über Daniela Comani im Museum Folkwang – Sammlung 01/23
Der heilige Gral des Spielzeugs
„Wonderwalls“ im NRW-Forum Düsseldorf – Kunstwandel 01/23
Neues im Quadrat
Josef Albers in Bottrop – Ruhrkunst 12/22
Erinnerungen, die sich formen
Melike Kara in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 12/22
Der Osten war schwarzweiß
Evelyn Richter im Museum Kunstpalast – Kunstwandel 12/22
„Ich bin Freund der reduzierteren Ausstellungen“
Nico Anklam über „Anders als es scheint“ in Recklinghausen – Sammlung 12/22
Rauben und Bedauern
Bochumer Ringvorlesung über Kolonialkunst – Kunst 11/22
Bilder des Glücks
„Entdecke Minhwa“ im LSI Bochum – Ruhrkunst 11/22
Spielen und Debattieren
Next Level Festival in Essen – Festival 11/22
„Man sieht sich auf dem Kopf und durch Spiegel gebrochen“
Kuratorin Eva Wruck über das Werk Adolf Luthers – Sammlung 11/22
Junge Schwarze Formensprache
Dozie Kanu im Neuen Essener Kunstverein – Ruhrkunst 11/22