Es gibt die Momente in der Ausstellung von William Kentridge, bei denen man einfach staunend vor den großen Kohlezeichnungen steht oder beeindruckt dem intensiven Fluss der Schilderungen in den Filmen folgt: im abgedunkelten, mit Projektionsflächen unterteilten Saal, der die Zeichnungsfolgen gemeinsam mit den daraus entwickelten Filmen zeigt. Oder im Kabinett der „Black Box / Chambre Noire“ (2005) mit den so fragilen mechanischen Puppen und den projizierten Zeichnungen und Texten.
Gemeinsam mit den Kunstsammlungen Dresden würdigt das Museum Folkwang in Essen den südafrikanischen Künstler zu seinem 70. Geburtstag mit einem umfassenden Werküberblick. Über die Jahrzehnte hatersein mediales Spektrum erweitert, aber bis heute bleiben die Druckgraphik und die Zeichnung mit schwarzer faseriger Kohle und die animierten Filme und Filminstallationen die Basis von allem. Zum spielerischen Ton zwischen Realismus und Abstraktion gesellen sich das Skurrile und Absurde in der Belebung von Gegenständen, und doch wird alles Poetische im Fortgang der Erzählung von den Bildern für Trauer, Machtausübung und Grausamkeit überlagert. Kentridge geht von historischen Geschehnissen in seiner Heimat Südafrika aus, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Er schildert die koloniale Vergangenheit und den Abbau von Gold in Johannesburg, der zu Reichtum und Verarmung führte, und die Apartheid mit ihren hunderttausenden Toten, Versklavung, Flucht und Migration. Dazu gehören das Massaker an den Herero und Nama 1904-1908 als dunkles Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte und das Schiff von Intellektuellen, die 1941 von Marseille nach Martinique geflohen sind. Zugleich wendet er sich den großen existenziellen Themen der Menschheit zu. Am Beispiel des Einzelnen wird kollektive Erfahrung verdeutlicht.
Berühmt wurde Kentridge ab 1991 mit animierten Filmen zum Bergbau in Johannesburg. Er entwickelt sie aus gestisch-expressiven Zeichnungen, die er für jede filmische Aufnahme fortgeführt hat. Vor unseren Augen wandeln sich die Dinge und Gegenstände. Zugleich erhalten die Personen, die kraftvoll und voluminös dargestellt sind, etwas Dominantes und Energisches. Dazu montiert Kentridge Szenen aus gefundenen Dokumentar- oder Spielfilmen in die Handlung und unterlegt die Filme mit wechselnden Musikstücken. Im Schwarz-Weißen manifestiert sich noch das Historische und Dokumentarische, zugleich erinnern die Filme an ein Schattentheater. Fast selbstverständlich hat dies zur Ausweitung ins Theater geführt; Kentridge hat Stücke für das Puppentheater geschaffen und inszeniert auch als Regisseur an Opernhäusern.
Zu seinen Medien gehören auch große gewebte Tapisserien, die handwerkliche Sinnlichkeit mit digitaler Anmutung zusammenführen. Eindrucksvoll ist in der Ausstellung die „Porter“-Serie (2001-2007), die Menschen als schwarze Silhouetten vor Landkarten zeigt: wie in einer Prozession, fremden Besitz oder aber das Eigene tragend und auf der Suche nach einer künftigen Heimat – noch aktueller, als Kentridge sie aus den Ereignissen und Lehren der Geschichte entwickelt, kann Kunst nicht sein.
William Kentridge – Listen to the Echo | bis 18.1. | Museum Folkwang Essen | 0201 884 54 44
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