Die rundum bodentiefen Glasfassaden des Kunstvereins geben den Blick frei auf ein hohes filigranes Stahlgerüst, das wie handgefaltet offen im Raum steht. Zwischen dem Gestänge schweben – immer in Abständen – farbige Objekte. So scheint es zumindest von außen betrachtet. Natürlich sind sie miteinander verkettet. Mal hängt ein Objekt allein, mal zwei, drei oder vier aneinander gefädelt, manche baumeln vertikal herab, andere sind auf locker verspannte Ketten gezogen. Im Raum entpuppen sich die Schwebteile als Minitürme aus glasierter Keramik. Zerbrechliches Gut, gegossene oder getöpferte Unikate. Beidseitig durchlöchert und aufgereiht trotzen sie der Schwerkraft und erzeugen flirrende Spannung im Raum. Ein strenges Raster aus farbigen Papieren an der Rückwand kontrastiert die Konstruktion. Aber starr ist es nicht: Über die Bildflächen tanzen abstrakte Flecken. Alles ist hier irgendwie in der Schwebe.
Soweit die Anschauung. Um die Intention hinter Mariana Castillo Deballs Rauminstallation zu ergründen, braucht es einiges an theoretischem Input. Alle Elemente in Werken der mexikanischen Bildhauerin, die in Berlin lebt und seit 2015 an der Kunstakademie Münster lehrt, sind symbolisch hoch aufgeladen. Die Künstlerin arbeitet mit stets unterschiedlichen Materialien und Techniken und verschränkt Kunst mit kulturhistorischer Forschung. Inspirationsquelle sind oft archäologische Fundstücke, die sie assoziativ weiterdenkt, quasi recycelt und als neue Form visuell in den Raum stellt.
Sujet ihrer eigens für Dortmund entwickelten Rauminstallation „Stringing Beads“ wie auch der Wandarbeiten auf Papier und, in der oberen Etage, auf Pressspanwand, ist der Turmbau zu Babel. Mit Wissen um die biblische Geschichte von menschlichem Übermut und göttlicher Bestrafung darf man nun selbst motivische Anspielungen auf historische Bildvorlagen entdecken und Symbolik entschlüsseln. Oder alle Interpretationen auf dem Ausstellungsbeiblatt rasch wieder vergessen und die Wirkung der Elemente im Raum betrachten. Wie Deball etwa mit Strukturen umgeht, mit Ordnung und Chaos. Wo die Dinge sich verbinden. Oder wo sie den Zusammenhang verlieren, vereinzelt im Raum hängen, sich verstreuen und auseinandertriften – auf den Bildern fast explosionsartig. So schwingt dann doch die Babel-Verwirrung mit.
Stringing Beads | bis 25.1.2026 (Winterpause: 22.12. - 10.1.) | Dortmunder Kunstverein | 0231 57 87 36
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