Aus dem Sockel wächst ein kleiner Wald an ausziehbaren VW-Käfer-Antennen. Daneben, frei im Raum, türmen sich Kugellager, Zahnräder und Klorollenhalter zu hohen Stelen auf. Rundum an den Wänden hängen Tableaus voller Baumarktobjekte der 1970er-Jahre: Ofenklappen, Gardinenstangen mit Röllchen, Fenstergriffe, Türscharniere, Flaschenverschlüsse, pro Sorte ein eigenes Relief. Eng seriell aneinander montiert entfalten all diese Alltagsdinge als künstlerisches Material nun ästhetische Qualitäten. Das Besondere: Man darf alle Einzelelemente bewegen, auf- und zuklappen, rein- und rausschieben, die starren Bildraster auflockern. „Ich schreibe die Programme. Der Betrachter macht die Kunst“, hatte Rolf Glasmeier postuliert.
Seine bespielbaren „Kaufhaus-Objekte“ machten den 1945 geborenen Gelsenkirchener Künstler bereits als 22-Jährigen international bekannt. Die 70er-Jahre waren Glasmeiers große Zeit, künstlerisch. In späteren Jahren bewirkte er mehr als politischer Aktivist, Netzwerker und rühriger Ausstellungsmacher in seinem Atelier. 2003 früh verstorben, geriet er ziemlich in Vergessenheit. Die gelungene Retrospektive im Kunstmuseum anlässlich seines 80. Geburtstags wird das ändern. Der chronologische Parcours über drei Etagen zeichnet Glasmeiers künstlerischen Werdegang nach. Rund 140 Werke aus allen Schaffensphasen – Grafik, Skulptur, Fotografie und Aktionen –, daneben Plakatgestaltungen und Foto- und Videodokumente, bieten Einblicke in ein aktives, kommunikatives Leben.
Der Parcours beginnt mit freien typografischen Zeichnungen des gelernten Schriftsetzers, entstanden in den 1960ern während seines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. FlächendeckendesAll-over aus Schriftzeichen und Textfetzen, das war noch klassische Grafik, mit Hang zur Akribie. Danach erweitert Glasmeier den Kunstbegriff mit seinen „Kaufhaus-Objekten“, die hier zu Recht im Zentrumstehen. Als sich sein Fokus ab den 1980ern hin zu Friedens- und Umweltaktivismus und zuletzt ins Esoterische verschiebt, ändert sich seine Kunstproduktion krass. Glasmeier verarbeitet nun Naturmaterialien zu abstrakten Wandzeichen, recycelt Abfallfunde in Setzkästen, initiiert Protestaktionen und rund 350 Ausstellungen. All dies wird hier komprimiert nachvollziehbar: Ein Künstlerleben zum Wiederentdecken.
Rolf Glasmeier: Frieden im Kopf | bis 8.3. | Kunstmuseum Gelsenkirchen | 0209 169 43 61
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