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Raumgewinn durch Bewegung

22. Dezember 2011

Eine Werkübersicht zu Günter Tollmann in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 01/12

Im Kulturleben in Gelsenkirchen muss Günter Tollmann sehr präsent gewesen sein. Im Katalog seiner jetzigen Ausstellung ist die Rede von rauschenden Festen in seinem Haus und davon, dass Tollmann für die Kunst zu begeistern wusste – bestimmt auch polarisierte – und den kulturellen Aufbruch im Ruhrgebiet der 1960er und 1970er Jahre mitvollzog. Man spürt seine Vitalität anhand der gestischen, teils ruppig vorgetragenen Malerei wie auch anhand der Metallplastiken, die sich im öffentlichen Raum behaupten. Mehrere Werke stehen an exponierter Stelle im Gelsenkirchener Stadtbild, und zweimal hat Tollmann, der hier bis kurz vor seinem Tod 1990 sein Atelier hatte, den Kunstpreis der Stadt erhalten: 1965 für Malerei und 1969 für Plastik. Es macht also Sinn, dass die Werkschau, die ihm jetzt in seiner Heimatstadt sozusagen zum 85. Geburtstag ausgerichtet wird, nicht nur im Kunstmuseum stattfindet, sondern auch die Sparkasse im Stadtzentrum einbezieht. Dort wird Günter Tollmann vor allem mit seinem späten Werk zwischen Malerei und Zeichnung vorgestellt.

Aber um diese Bilder richtig einzuschätzen, sollte der Ausstellungsbesuch im Kunstmuseum beginnen. Vor diesem steht eine um ihre Achse bewegliche Edelstahlplastik, bei der über der Vertikalen drei gleiche Arme im rechten Winkel abknicken – mit solchen Arbeiten hatte Tollmann in den 1970er Jahren seine größten Erfolge, er erhielt den Prix de la Jeune Sculpture in Paris und wurde zur Biennale Middelheim und zu einer Tournee des Instituts für Auslandsbeziehungen eingeladen.

Günter Tollmann wurde 1926 in Gelsenkirchen geboren. Er hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und danach bis 1969 einen Malereibetrieb unterhalten, um seine Familie zu ernähren, war aber zu allen Zeiten auch als Künstler aktiv. 1969 war er Gründungsmitglied der Gruppe B1 im Ruhrgebiet, die, u.a. mit Friedrich Gräsel und Ferdinand Spindel, an der Gestaltung des öffentlichen Raumes mitwirken wollte. Kunst sollte eine Sache in der Bevölkerung sein, dazu trugen die Klarheit der Formen und der Farben und die Hinwendung zu modernen, industriellen Materialien bei. Dazu passt auch, dass etliche von Tollmanns Plastiken vom Publikum bewegt, gedreht werden können, also zur Berührung und Teilhabe einladen.

Überhaupt, Günter Tollmann ist auf der Höhe der Zeit. Seine malerischen Anfänge lassen sich dem Informel als verbreiteter abstrakter Kunstrichtung seit den 1950er Jahren zuordnen. Aber Tollmann beschränkt den dafür typischen expressiven, ausfahrenden Malgestus vorwiegend auf seine Papierarbeiten. Auf Leinwand und auf Holz hingegen trägt er die Farbe sehr dünn als flächige Fetzen auf; tiefere Schichten brechen durch. Der Ton dieser Bilder ist erdig, und auch künftig wird bei Tollmann weitgehend auf Buntfarbigkeit verzichtet.

Auf der Höhe der Zeit

Tollmanns Wechsel zur plastischen Arbeit, die ab 1966 allmählich einsetzt, scheint ansatzlos, leider erschließt er sich auch in der Ausstellung kaum. Im Erdgeschoss der Alten Villa des Kunstmuseums wirken die Modelle und Wandarbeiten zusammengedrängt, dabei handeln sie doch von Freiheit und Ausdehnung. Sie sind stereometrisch und organisch schwellend angelegt, womit sie noch die Verläufe der Landschaft und die Wolken aufnehmen. Und sie lassen sich eben bewegen und wenden so innen und außen um.

In etwa zeitgleich mit dem Umzug der Familie in den Landkreis Diepholz 1978 kehrt Tollmann dann wieder zur Malerei zurück. Dabei greift er zunächst noch die Erfahrungen der Plastik auf, indem er seine Bilder konstruktiv anlegt, mit Vertikalen und Horizontalen über monochromen Flächen. Aber auch das ändert sich bald. Nun wendet sich Tollmann in seinen Gemälden und Zeichnungen der Figur zu und lässt schnell jeden Gedanken an Avantgarde hinter sich, aber ohne gelassen zu werden: Im Spätwerk ist Tollmann tatsächlich am eigensten und geradezu tollkühn. Dies zeigt sich vor allem in der Sparkasse am Bildmotiv des Königs, der – über die Beispiele von Alfred Jarry und Max Ernst hinaus – für Autonomie und Selbstbehauptung, auch des Künstlers steht. „Sein König ist demokratisch und privat durchwirkt. Die Serie ist eine heitere Travestie und eine ernste Parodie zugleich. Eine Mehrdeutigkeit und aktive Freiheit, die wir von vielen Werken Tollmanns kennen“, schreibt Dieter Ronte dazu (Kat. 2011, S. 95).

Die Gemeinsamkeiten und das Verbindende zwischen den verschiedenen Werkphasen von Malerei und Plastik stellen sich über das Temperament des Künstlers ein. Der Hang zum Exaltierten, zu Bewegung und Verdichtung scheinen die Prämissen seiner ganzen Kunst von Anfang an zu sein. Tollmann lässt sich in Malerei und Zeichnung oft von der Linie treiben und suggeriert so (dreidimensionales) Volumen. Tatsächlich wirken viele der späten Bilder „zugemalt“, als könne er nicht von der Zeichnungshandlung ablassen und als wolle er die Dynamik seiner mobilen Plastiken so auf der Fläche ausleben. In ein Selbstportrait von 1984, das mit Kohle auf das weiße Blatt gezeichnet ist, hat Günter Tollmann geschrieben: „der Umraum ist sowieso“: Kontur ist Raumbeschreibung und umgekehrt, verwirklicht im vitalen Vortrag.

Günter Tollmanns Beschäftigung mit dem Raum drum herum aber weist noch auf einen besonderen Aspekt des Kunstmuseums Gelsenkirchen. Denn in diesem ist im Untergeschoss eine richtig gute Sammlung zur kinetischen Kunst untergebracht. Bei der Kinetik sind einzelne Partien elektrisch oder manuell bewegt oder wirken infolge optischer Effekte in Unruhe. Natürlich ist Tollmann auch dort mit dem Modell einer „Windwand“ vertreten – also es gibt hinreichend Gründe in Gelsenkirchen, Günter Tollmann mit seinem so bemerkenswerten Gesamtwerk vorzustellen.

„Günter Tollmann: Retrospektive“ I bis 22.1. I Kunstmuseum und in der Sparkasse am Neumarkt in Gelsenkirchen I www.kunstmuseum-gelsenkirchen.de

THOMAS HIRSCH

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