Die Retrospektive zum 70. Geburtstag des südafrikanischen Künstlers, Filmemachers, Opern- und Theaterregisseurs zeigt Arbeiten seit Beginn seiner Karriere in den 1980er Jahren.
trailer: Herr Burg, wie nah dran ist Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, ab 1909 Aufsichtsratsvorsitzender der Krupp AG, an William Kentridges Kunstfigur Soho Eckstein?
Tobias Burg: Soho Eckstein ist bei William Kentridge eine fiktive Figur, die Anfang des 20. Jahrhunderts im rasch wachsenden Johannesburg als Goldminenbesitzer und Immobilienmagnat zu großem Reichtum kommt. Ohne das an bestimmten Personen festmachen zu wollen, gibt es eine parallele Entwicklung im Ruhrgebiet, das sich zur selben Zeit zur wichtigsten Bergbauregion in Deutschland entwickelt hat. Deswegen wollen wir in unserem Teil des Ausstellungsprojekts – es ist ja eine Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die zur gleichen Zeit auch eine Ausstellung von ihm zeigen – besonders solche Werke in den Blick nehmen, in denen sich Kentridge gerade mit diesem Aspekt der Geschichte seiner Heimatstadt Johannesburg auseinandersetzt, die 1886 überhaupt erst als Goldgräbersiedlung gegründet wurde. Kentridge ist ein Künstler, der immer wieder auf das schaut, was geschichtlich in Südafrika oder auf dem afrikanischen Kontinent passiert ist. Dabei fragt er auch nach den Bezügen zu Europa.
Was macht den gebürtigen Südafrikaner, der ja nun nicht aus einer Farmerfamilie stammt, als Künstler so besonders?
Der biografische Background spielt tatsächlich eine wichtige Rolle für Kentridge. Er ist väterlicherseits Spross einer jüdischen Familie aus Litauen, die vor drei Generationen über England nach Südafrika ausgewandert ist. Schon der Großvater engagierte sich politisch und war viele Jahre lang Abgeordneter im südafrikanischen Parlament. Kentridges Eltern haben dann als Rechtsanwälte Menschen unterstützt und verteidigt, die vom Apartheid-Regime verfolgt und angeklagt wurden, unter anderem Nelson Mandela. In dieser politisch engagierten Familie hat Kentridge trotz seiner privilegierten Lebensumstände schon als junger Mann verstanden, wie ungerecht und absurd das gesellschaftliche System war, in dem er lebte. Er begann ein Kunststudium, hat dann aber bald zu Politik- und Afrikastudien gewechselt und sich als Student politisch gegen die Apartheid engagiert. Diese Haltung zieht sich bis heute durch sein Werk, in dem Kentridge immer wieder der Frage nachgeht, wie das Leben von den jeweiligen gesellschaftlichen oder historischen Bedingungen geprägt wird, in die man geboren wird, und wie man dagegen aufbegehren kann.
Was ist in William Kentridges Geburtstagsausstellung in Essen zu sehen?
Wir zeigen einen Querschnitt durch sein Schaffen von den späten 1970er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart, mit Zeichnungen, filmischen Arbeiten, Mehrkanal-Filminstallationen, Tapisserien und einigen Skulpturen. Natürlich präsentieren wir eine Auswahl der animierten Kurzfilme aus der Serie „Drawings for Projection“, mit denen Kentridge in den frühen 1990er Jahren weltweit bekannt wurde. Hier haben wir solche ausgewählt, die besonders sprechend sind im Hinblick auf die Geschichte unserer eigenen Region. Zu sehen sind aber auch Werke, in denen sich Kentridge mit der Kolonialgeschichte auseinandersetzt, darunter die Installation „Black Box/Chambre Noire“. Das ist eine Art Miniaturbühne aus dem Jahr 2005, drei Meter hoch, mit kleinen mechanischen Figuren, die plötzlich auf die Bühne gefahren kommen, ihren Auftritt haben und dann wieder verschwinden. Gleichzeitig wird ein Film mit Sound auf die Bühnenrückwand projiziert. Das kommt auf den ersten Blick unterhaltsam daher, wenn etwa ein gezeichnetes Nashorn Ballett tanzt. Man merkt aber sehr schnell, dass an ein berüchtigtes Ereignis aus der deutschen Kolonialgeschichte erinnert wird, als zwischen 1904 und 1908 deutschen Truppen im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen der ersten Völkermorde der Neuzeit an den Herero verübten. Am Schluss der Ausstellung kommt Kentridge selbst zu Wort, wenn er in der 2024 vollendeten Kurzfilm-Serie „Self-Portrait as a Coffee-Pot“ sehr anregend über verschiedene Aspekte seines Schaffens spricht.
Woher kommt der Titel „Listen to the Echo“? Ist das der Titel einer Arbeit?
Ja, er bezieht sich auf eine Arbeit des Künstlers. Wir haben gemeinsam mit den Dresdner Kollegen lange über einen passenden Titel nachgedacht. In der Ausstellung sowohl in Dresden als auch in Essen werden Werke von Kentridge präsentiert, die sich auch auf die Historie an Ort und Stelle beziehen lassen. Bei uns gibt es das Thema Bergbau und Kolonialismus, in Dresden geht es um die Repräsentation von Macht, unter anderem durch Triumphzüge, was in der sächsischen Landeshauptstadt und ehemaligen Residenz der sächsischen Kurfürsten auch eine wirklich sinnvolle Blickrichtung ist. Kentridge wählt oft sehr schöne, poetische Titel für seine Werke. Und wir fanden „Listen to the Echo“ (übers.: Hören Sie dem Echo zu, d. Red.) so treffend, als hätte er diesen Satz für unsere Ausstellung erfunden. Wir waren uns dann auch sofort mit ihm einig, dass dies der ideale Titel für unser Projekt ist.
Macht es die Arbeit als Kurator leichter, wenn der Künstler an der Konzeption mitarbeitet?
Es ist eine andere Form des Arbeitens und gleichzeitig ein großes Geschenk, wenn man eine Ausstellung gemeinsam mit einem Künstler wie William Kentridge vorbereiten kann. Im direkten Austausch mit ihm, aber auch im Gespräch mit seinem Studio entstehen Ideen, auf die man sonst nicht gekommen wäre. Die Gestaltung durch eine Ausstellungsarchitektin, mit der Kentridge regelmäßig zusammenarbeitet, gibt der Präsentation eine ganz eigene ästhetische Prägung – ein tolles Miteinander verschiedener Naturmaterialien.
Gibt es einen thematischen oder eher einen zeitlichen Parcours in der Ausstellung?
Es ist eine Mischung aus beidem. Die Werke sind im Grundsatz chronologisch geordnet. Aber gleichzeitig gibt es große Themenblöcke, in denen Arbeiten aus unterschiedlichen Zeiten zusammenkommen, was eine weitere gute Orientierung bietet. Auch wenn es eine umfangreiche Ausstellung ist, geht man darin nicht verloren.
Wie notwendig sind dann Erklärungen an den Exponaten für das „normale“ Publikum?
Ich glaube, sie sind in diesem Fall gar nicht so dringend erforderlich – auch wenn es natürlich Erläuterungen gibt. Kentridge arbeitet ja figurativ und narrativ, auch wenn zum Beispiel seine Kurzfilme nicht unbedingt eine Geschichte von vorne bis hinten erzählen. Als ich angefangen habe, an dem Projekt zu arbeiten, habe ich einige seiner gezeichneten Filme hintereinander angeschaut und fand sie sofort sehr ergreifend, ohne dass ich vorher viel dazu gelesen hätte. Wenn man dann darüber nachdenkt, etwas liest oder einen Kommentar dazu hört, vielleicht auch das, was der Künstler dazu sagt, dann öffnet sich natürlich nochmal eine andere Ebene. Aber dieser erste Zugang, der ist sehr gut möglich, und ich glaube, dass das auch ein bisschen das Geheimnis des Erfolgs von William Kentridge ist – man kann sich mit allen Sinnen packen lassen von seiner Kunst.
William Kentridge. Listen to the Echo | 4.9. - 18.1.26 | Museum Folkwang, Essen | 0201 884 50 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Geschichten einer Leidenschaft
Oskar Kokoschka mit den Porträts von Alma Mahler in Essen – kunst & gut 05/25
Der ganze Körper in Aktivität
Paula Rego im Essener Museum Folkwang
Auf Augenhöhe
Deffarge & Troeller im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/25
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Aufbruch und Experiment in Paris
Meisterwerke der Druckgraphik im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 10/23
Kompatibel mit Museum
Rafaël Rozendaals NFTs in Essen – Ruhrkunst 05/23
Schütten statt Pinseln
Helen Frankenthaler im Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/23
Sie macht ihre Reisen im Internet
Thomas Seelig über Daniela Comani im Museum Folkwang – Sammlung 01/23
Es zählt nur die Botschaft
We want you! im Museum Folkwang – Kunstwandel 07/22
„Auch mal am Tresen entstanden“
Leiterin Christine Vogt über die Ausstellung zu Udo Lindenberg in der Ludwiggalerie Oberhausen – Sammlung 07/25
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
„Moderne Technologien werden immer relevanter“
Die Leiterin der Kunstvermittlung des ZfIL Unna, Christiane Hahn, über die neue Jahresausstellung – Sammlung 06/25
„Der Zweifel ist wach zu halten“
Direktor Nico Anklam über die Ausstellung der Ruhrfestspiele 2025 in der Kunsthalle Recklinghausen – Sammlung 05/25
„Was Handwerk und was Kunst ist“
Co-Kurator Markus Heinzelmann über „Das halbe Leben“ im Bochumer Museum unter Tage – Sammlung 04/25
„Alle Intelligenz ist künstlich“
Co-Kurator Tom McCarthy über die Ausstellung „Holding Pattern“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/25
„Sie hatte ihren eigenen Blick auf die Arbeitswelt“
Fotohistorikerin Stefanie Grebe über die Ausstellung zu Ruth Hallensleben in Essen – Sammlung 02/25
„Wichtig ist für ihn die Ästhetik der Kabel“
Kuratorin Felicity Korn über „Echo“ von Elias Sime im Düsseldorfer Kunstpalast – Sammlung 01/25
„Kein Staub, aber ganz viel Frisches“
Leiter Nico Anklam über die Ausstellung zu 75 Jahren Kunsthalle Recklinghausen – Sammlung 12/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24