Eines wird in dieser feinen, konzentrierten Ausstellung im Museum Folkwang schnell klar: Oskar Kokoschka war ein Porträtmaler von internationalem Rang und Alma Mahler war eine faszinierende, facettenreiche Persönlichkeit des frühen 20. Jahrhunderts. Sie war hochgebildet und Vertraute der größten Künstler ihrer Zeit, selbst eine wichtige Komponistin, mitfühlende Partnerin und Mäzenin. Sie war Gastgeberin in den Salons und trug mit dazu bei, dass Wien zu jener Zeit ein Zentrum der europäischen Kultur und Avantgarde war. Verheiratet war sie mit Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel. Dazwischen, von 1912 bis 1915, hatte sie eine heftige Liebesbeziehung mit Oskar Kokoschka, die ebenso von Heiratsabsichten wie Distanznahmen geprägt war. Auch wenn sie für ihn Modell stand und mit ihren Porträts seinen stilistischen Wandel Mitte der 1910er Jahre einleitete, der Begriff „Muse“ trifft auf diese Obsession nicht zu, die von 400 Briefen allein von Kokoschka begleitet wurde.
Kokoschka hatte Alma Mahler im April 1912 kennengelernt und ihr schon bald geschrieben: „Jetzt bin ich der glückliche junge Gott, der Riesenlasten tragen möchte, um sie lachend wegzuwerfen, wenn Du zu mir kommst, Einzige, Ewige.“ Großartig ist die Innigkeit seiner Porträts und Doppelporträts und symbolischen Darstellungen. Dazu gehören in Essen neben den Gemälden und graphischen Blättern eine Freskomalerei und bemalte Fächer, die er als „Liebes-Briefe in Bildsprache“ bezeichnet hat. Die Ausdrucksstärke der Darstellungen reflektiert Kokoschkas aktuellen Blick auf die Beziehung; zugleich hat jedes Bild seine eigene Geschichte. So verarbeitet das Gemälde „mit Putto und Kaninchen“ eine Fehlgeburt. Das frühe Bildnis, das Alma im direkten Gegenüber in die Tradition der italienischen Renaissance stellt und ursprünglich von Karl Ernst Osthaus erworben wurde, hat Alma Mahler ins Exil nach New York mitgenommen. Heute befindet es sich in der Sammlung des National Museum of Modern Art in Tokio. Besonders eindrucksvoll sind das gemeinsame Porträt, welches ihn präsent und kontrolliert und sie wie abwesend zeigt, und die „Frau in Blau“ (1919), die seinen pastos vorgetragenen Expressionismus einleitet. Ausgestellt sind auch Rekonstruktionen der lebensgroßen Stoffpuppe, die Kokoschka nach Ende der Beziehung anfertigen ließ. Sie diente ihm als Fetisch, aber auch Vorlage für seine Porträtmalerei; später muss er sie im Zorn zerstört haben.
Die Ausstellung ist Teil des Festivals „Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne“ an sechs Orten in Essen mit Konzerten und Vorträgen, in denen sie aus verschiedenen Perspektiven diskutiert wird. Sie ist hier aber sowieso am richtigen Ort. Sie greift weit in die Anfänge des Folkwang Museums zurück. Dessen Gründer Karl Ernst Osthaus hat Kokoschka bereits 1910 im Museum in Hagen ausgestellt: Das frühe Porträt von Alma Mahler kehrt nun erstmals wieder in den Folkwang-Kontext zurück. Und jetzt macht inmitten der Zwei-Raum-Präsentation der milde plätschernde Jugendstil-Brunnen von George Minne, der ein Pendant im Osthaus Museum Hagen besitzt, doppelt Sinn.
Frau in Blau. Oskar Kokoschka und Alma Mahler | bis 22.6. | Museum Folkwang Essen | 0201 884 50 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Er fragt auch nach den Bezügen zu Europa“
Kurator Tobias Burg über „William Kentridge. Listen to the Echo“ im Essener Museum Folkwang – Sammlung 08/25
Der ganze Körper in Aktivität
Paula Rego im Essener Museum Folkwang
Auf Augenhöhe
Deffarge & Troeller im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/25
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Aufbruch und Experiment in Paris
Meisterwerke der Druckgraphik im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 10/23
Kompatibel mit Museum
Rafaël Rozendaals NFTs in Essen – Ruhrkunst 05/23
Schütten statt Pinseln
Helen Frankenthaler im Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/23
Sie macht ihre Reisen im Internet
Thomas Seelig über Daniela Comani im Museum Folkwang – Sammlung 01/23
Es zählt nur die Botschaft
We want you! im Museum Folkwang – Kunstwandel 07/22
Formationen lesen
Amit Goffer im Haus Kemnade – Ruhrkunst 08/25
Appetithäppchen
Westdeutscher Künstlerbund (WKB) in Witten – Ruhrkunst 08/25
Geschichten und Gegenwart
Miriam Vlaming in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 08/25
„Auch mal am Tresen entstanden“
Leiterin Christine Vogt über die Ausstellung zu Udo Lindenberg in der Ludwiggalerie Oberhausen – Sammlung 07/25
Realismus des Alltags
Paula Rego im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 07/25
Nachtspaziergang im Keller
„Light-Land-Scapes“ in Unna – Ruhrkunst 07/25
Viel zu tun
RUB-Sammlungen im MuT Bochum – Ruhrkunst 07/25
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
Die „Zweite Schuld“ der Justiz
Ausstellung zur NS-Vergangenheit des Bundesjustizministerium im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Ausstellung 06/25
In der Kunstküche
„Am Tisch“ und Medienkunst im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/25
Women first!
Judy Chicago in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/25
Gegen den Strom
Dieter Krieg im Museum Küppersmühle – kunst & gut 06/25