Dass mit der Niederlage Nazideutschlands am 8. Mai 1945 die Nazis nicht plötzlich verschwunden waren, ist bekannt. Viele von ihnen machten schließlich in der jungen Bundesrepublik Karriere – auch in den Ministerien und Behörden. Die Wanderaustellung „Die Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz im Schatten der NS-Vergangenheit“ ist Teil der Aufarbeitung der Geschichte des Bundes-Justizministeriums (BMJ) – neuerdings Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Seit dem 17. Juni ist sie im Fritz-Bauer-Forum in Bochum zu sehen.
Irmtrud Wojak, Geschäftsführerin des Fritz-Bauer-Forums, wies bei der Eröffnung der Ausstellung darauf hin, dass die „reibungslose Integration der NS-Täter und ihrer Gehilfen, die angeblich keine Resozialisierung nötig gehabt hätten, weil sie sich wie 1933 auch 1945 bzw. 49 in das neue System einfügten“ als der größte Erfolg der Ära Regierung Adenauer gelte. Die „Zweite Schuld“, als die der Schriftsteller Ralph Giordano (1923-2014) die unterlassene Aufarbeitung der NS-Vergangenheit bezeichnete, war da schon nicht mehr abwendbar. Berüchtigt ist die Aussage Adenauers aus dem Jahr 1961, als der Bundeskanzler stolz verkündete: „Im deutschen Volkskörper, im moralischen Leben des deutschen Volkes, gibt es heute keinen Nationalsozialismus mehr, kein nationalsozialistisches Empfinden. Wir sind ein Rechtsstaat geworden.“
Dass dem nicht so war, zeigt die Ausstellung, deren Grundlage das von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling herausgegebene Buch „Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) und die NS-Zeit“ ist. Darin sind die Ergebnisse der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission (UWK) zur Auseinandersetzung des BMJ mit seiner NS-Geschichte enthalten, die im Oktober 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
„Belastete“ Juristen
Die UWK hatte die Akten von 170 Mitarbeitern ausgewertet, die von 1949 bis 1973 in Leitungspositionen des BMJ tätig waren. Es wurden nur Juristen einbezogen, die spätestens im Jahr 1927 geboren wurden und somit bei Kriegsende volljährig waren. Das Ergebnis ist so erschütternd wie bezeichnend: 90 gehörten der NSDAP an, 34 der Sturmabteilung (SA) und 10 der Schutzstaffel (SS). Mehr als fünfzehn Prozent waren vor 1945 im NS-Reichsjustizministerium tätig. Insgesamt gelten mehr als die Hälfte als „belastet“.
Viele von ihnen, so Wojak, hätten sich in den NS-Prozessen auf den „Rechtspositivismus“ berufen, der sie angeblich wehrlos gemacht hätte. „Sollen oder wollen wir uns wirklich weismachen, dass aus diesen überzeugten Nationalsozialisten 1945/49 mit einem Schlag überzeugte Demokraten und Verfechter der Humanität der Rechtsordnung wurden“, fragte Wojak in die Runde? Zumal die Aufarbeitung der NS-Verstrickung zahlreicher Mitarbeitenden weiter umstritten ist. Als die damalige Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) im Jahr 2012 die UWK einberief, gab es Widerstände – vor allem aus Reihen der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung, wie Alexander Grapentin, Referatsleiter im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, in seinem Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung anführte. Schließlich habe Leutheuser-Schnarrenberger sich aber durchsetzen können, was vermutlich auch daran lag, dass andere Behörden, wie etwa das Auswärtige Amt, schon einen Schritt weiter waren. Nachzulesen ist dies in der unter anderem vom Historiker Norbert Frei 2009 herausgegebenen Studie „Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“.
Ausstellung über zwei Etagen
Die kleine, aber überaus informative Ausstellung ist über zwei Etagen verteilt. Sie gliedert sich in neun Bereiche, die jeweils durch eine Stele repräsentiert sind. Dort befinden sich audiovisuelle Zeitzeugenberichte, Opfer- und Täterbiografien oder beispielhafte Gesetzestexte. Im Begleitheft heißt es: „Die Stelen vermitteln an vielen Stellen die Doppelgesichtigkeit des Ministeriums: Sie stellen einer hellen Vorderseite eine dunkle Rückseite gegenüber. Einerseits das glänzende Expertentum vieler Juristen, andererseits deren dunkle Vergangenheit und tiefe Verstrickung in das NS-Unrecht.“ Die Titel lauten: „Schlussstrich statt Aufarbeitung“, „Darf Mord verjähren?“ oder „Schöner Schein“.
Überdimensionale Bürolampen sollen ans Licht bringen, was lange Zeit im Dunklen lag – Brecht lässt grüßen. Außerdem gibt es mehrere, Aktenordnern nachempfundene Schubladen, die verschiedene Etappen des Versuchs der kritischen Aufarbeitung in den 1950er und -60er Jahren zeigen. Darunter etwa die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“, die 1959 vom SDS, damals der Jugendverband der SPD, in Karlsruhe organisiert worden war. Verschiedene Universitäten verboten die Präsentation des Materials in ihren Räumen und auch die SPD, deren Mitglied Fritz Bauer war, distanzierte sich von der Aktion des SDS.
Die Belastung der Juristen war übrigens auch in der BRD schon früh ein Thema. Der damalige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, als Kommentator der Nürnberger „Rassegesetze“ übrigens selbst belastet, hatte im Jahr 1950 alle Ministerien darum gebeten, festzustellen, „wie viele Angehörige der einzelnen Ministerien früher Mitglied in der NSDAP gewesen seien“, wie Manfred Görtenmacher in seinem Aufsatz „Die heile Welt der Rosenburg“ schreibt. Grund hierfür sei die Ankündigung einer förmlichen parlamentarischen Anfrage im Bundestag. Darauf wollte man vorbereitet sein.
Fritz Bauer als Vorbild
Dass das am 9. Mai dieses Jahres eröffnete Fritz-Bauer-Forum der richtige Ort für die Veranstaltung ist, zeigt allein die Biografie des Namensgebers Fritz Bauer, der als hessischer Generalstaatsanwalt bis zu seinem Tod im Jahre 1968 in Frankfurt wirkte. Als Sozialdemokrat war er selbst ein Gegner und Verfolgter des Naziregimes. Und auch nach dem Untergang des NS-Regimes sah er sich zahlreichen Widerständen inner- und außerhalb seiner Behörde ausgesetzt. Bekannt ist sein Zitat: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“
Gegen diese Widerstände schaffte es Bauer, den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 anzustrengen. Angeklagt waren 21 SS-Männer und ein Funktionshäftling; sie waren im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz an der industriellen Vernichtung von mehr als einer Million Juden und anderer Häftlinge beteiligt. Bauer hatte im Jahr 1957 der Kölner Vertretung des israelischen Geheimdienstes Mossad den Hinweis zur Ergreifung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann gegeben, der in Argentinien untergetaucht war. Grund dafür war, dass Bauer dem BND und anderen Behörden, wo weiterhin Nationalsozialisten tätig waren, nicht vertraute und fürchtete, dass Eichmann gewarnt würde. „Dass heutzutage in Filmen über den Juristen die Mär vom Landesverräter Fritz Bauer wieder verbreitet wird, ist Populismus und spielt rechten Tendenzen zum Tanz auf“, so Irmtrud Wojak.
Juristen als „Techniker der Macht“
Das BMJ hatte von 1950 bis 1973 in der Rosenburg auf dem Bonner Venusberg seine Heimat. Es wurde anfangs mit Thomas Dehler und Walter Strauß von zwei Personen geleitet, die selbst keine Nazis waren oder, im Fall von Strauß, sogar verfolgt wurden. Das hat Gründe. Laut Görtenmacher handelt sich bei Juristen auch um „Techniker der Macht“, die zur „Herrschaftssicherung“ und „Stabilisierung“ politischer Systeme beitrügen. Im „Dritten Reich“ sei diese Instrumentalisierung vollständig gelungen – „ob aus innerer Überzeugung, pragmatischem Karrierewillen oder unter Anpassungsdruck, wurde nach 1949 allzu oft nicht mehr hinterfragt“.
Alexander Grapentin zeigt in seinem Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung die personelle Kontinuität anhand einzelner Biografien und dabei wird deutlich, dass sie zum Teil auch nach dem Ende des NS-Regimes weiter im „alten Geist“ wirkten. Eduard Dreher war vor 1945 Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck und in dieser Funktion Mitwirkender an zahlreichen Todesurteilen. Von 1951 bis 1969 war er im Bundesministerium der Justiz tätig, zuletzt als Ministerialdirigent, in dessen Verantwortungsbereich das Einführungsgesetz zum „Ordnungswidrigkeitengesetz“ aus dem Jahre 1968 fällt. Dieses führt schließlich zu einer, vom damaligen Justizminister Gustav Heinemann (SPD) nicht gewollten versteckten Amnestie („kalte Amnestie“) zahlreicher in das NS-Unrecht verstrickter Personen.
Davon profitierte unter anderem Heinrich Ebersberg, der ab 1942 persönlicher Referent des Reichsjustizministers Otto Thierack war. „Ihm war bekannt, dass zahllose NS-Justizverbrechen wie die „Euthanasie“-Morde oder „Sonderbehandlung“ (Anm. Erschießung von Strafgefangenen) nicht weiter verfolgt wurden“, erklärt Grapentin. 1969 ermittelte die Justiz gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord an Strafgefangenen. Das BMJ leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein, 1970 wurde es wegen Verjährung aufgrund der „kalten Amnestie“ von 1968 eingestellt. Ebersberg verlor dennoch seine Position als Unterabteilungsleiter, blieb aber Referatsleiter – bei vollen Bezügen.
„Ebersberg war einer der wenigen, gegen den überhaupt Ermittlungen eingeleitet worden seien“, so Grapentin. Als Verteidigung habe er stets angeführt: „Er sei nur dabei gewesen, um Schlimmeres zu verhindern; ein unbedachtes Worte hätte ihn das Leben kosten können“. Diese personellen Kontinuitäten haben auch dazu geführt, dass NS-Gesetze das Ende des Naziregimes überdauert hätten, erläutert Grapentin. Dazu gehören die fehlende rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau oder das Sexualstrafrecht. Bis 1994 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern – unter wechselnden Tatbestandsvoraussetzungen – nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Deutschland strafbar. Erst am 22. Juli 2017 trat das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitation der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) in Kraft.
Lehren für die Gegenwart
Die Präsidentin des Oberlandesgerichtes Hamm, Gudrun Schäpers, schlug schließlich den Bogen zur Gegenwart. „Die Ausstellung ist auch ein starkes Signal, sich demokratiefeindlichen Tendenzen und Diskriminierung entgegenzustellen“, so Schäpers. Vor drei Jahren war die Ausstellung bereits im OLG Hamm zu sehen. Seitdem habe sich das gesellschaftliche Klima spürbar verändert. Demokratische Grundwerte würden angegriffen, Antisemitismus, autoritäre Tendenzen, Geschichtsverfälschung und Desinformation seien keine abstrakten Gefahren mehr, sondern reale politische Herausforderungen für Gesellschaft und Justiz. Das Fritz-Bauer-Forum, das sich dem Austausch, der Offenheit und Vielfalt verschrieben habe, sei deshalb ein idealer Ort, sich den Herausforderungen zu stellen.
Die Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz im Schatten der NS-Vergangenheit | bis bis 11.8. | Fritz Bauer Forum, Bochum | Fritz-Bauer-Forum
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