Sehr früh fand Paula Rego (1935-2022) zu den Anliegen ihrer Malerei: Dass ihr Sujet die Menschen ihrer Umgebung und insbesondere die Frauen waren und dass sie das in Bildern aussprechen musste, was sich keiner traute. Dass das Private eine öffentliche Sache war. Im Museum Folkwang zeigt das Bild „The Meal“ (1951) eine Familie am Esstisch. Während der Mann sich den Magen vollschlägt und das Mädchen brav isst, stillt die Frau mit freiem Oberkörper ein Baby. Vor ihr steht kein Teller, sie schaut uns mit traurigem Blick an. In „The Birthday Party“ (1953) feiert eine Männerrunde mit großen Gesten, Frauen sind nur als Bedienung und im Nebenraum zu sehen. Die frühe Malerei von Paula Rego zeigt schon die körperlich präsenten, verzerrt wirkenden Menschen daheim. Frauen scheinen es in dieser Gesellschaft schwer zu haben – nach ihrer Rückkehr 1956 vom Londoner Kunststudium wendet sie sich ihnen ausschließlich zu; sie besetzen nun wie Porträts das Format.
Es ist gut, dass die Ausstellung im Museum Folkwang zunächst mit drei Selbstbildnissen von 2017 einsetzt, auf denen Paula Rego ihr eigenes Gesicht beim Zeichnen mit Pastellkreide grimassierend, ungeschönt – deformiert, gealtert – festhält. Die Künstlerin hält schonungslos die Wirklichkeit fest, auch die eigene. Das ist der Tenor des Werkes von Paulo Rego, den so auch die Ausstellung vermittelt. Der monographische Überblick ist eine Schau der Meisterwerke, der noch belegt, wie Paulo Rego im Laufe der Jahrzehnte ihren Stil mit dem Wechsel der Intentionen variiert hat und auch märchenhaft erzählerisch wurde, dazu ins Surreale wechselte und Tiere einbezog. Dazwischen sind einige Bilder der Spätzeit eingeblendet, ganz späte Werke fehlen allerdings, abgesehen von den menschengroßen weiblichen Puppen in Kostümen, mit denen ganze Settings entstehen. Eine wichtige Rolle in der Ausstellung wie in ihrer Arbeit spielen die Radierzyklen, die mit ihren Auflagen zur Verbreitung der Anliegen und zu ihrer Bekanntheit beigetragen haben mögen.
Paula Rego wurde 1935 in einer gutbürgerlichen Familie in Lissabon geboren. Die Folgen des autokratisch-konservativen Systems „Estado Novo“ des Diktators Salazar erlebt sie als Kind, auch den latenten und offenen Widerstand gegen dieses. Sie schließt sich diesem Protest in ihrer Malerei und Zeichnung an und widmet sich insbesondere dem Schicksal der dortigen Frauen und fordert deren Selbstbestimmung. Nach ihrer Heirat mit einem Engländer erhält sie 1959 die britische Staatsbürgerschaft; 1962 zieht sie ganz nach London, wo sie, zunehmend gefeiert und international verehrt, 2022 stirbt. Mit ihren Sujets aber bleibt sie Portugal und dem Feminismus verbunden. So reagiert sie 1998 auf ein gescheitertes Referendum zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mit einer ergreifenden Bildserie, die das Schicksal der fast lebensgroß dargestellten Frauen würdigt. Später behandelt sie Frauenrechte, Care-Arbeit und weibliche Genitalbeschneidung, ebenso psychische Fragilität – in einer Drastik und Offenheit, wie man sie in der Malerei selten erlebt. In Deutschland wird Paulo Rego mit dieser Ausstellung erst entdeckt: Es war längst überfällig.
Paula Rego | bis 7.9. | Museum Folkwang Essen | 0201 884 50 00
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