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Nico Anklam
Foto: Kunsthalle Recklinghausen / James Larsen 2022

„Der Zweifel ist wach zu halten“

30. April 2025

Direktor Nico Anklam über die Ausstellung der Ruhrfestspiele 2025 in der Kunsthalle Recklinghausen – Sammlung 05/25

Die Retrospektive „Revelations“ zeigt rund160 Werke der US-amerikanischen Künstlerin und Feministin Judy Chicago. 

trailer: Herr Anklam, ist es nach einer sechs Jahrzehnte langen Karriere nicht ein bisschen spät für eine retrospektive Ausstellung im Recklinghäuser Bunker?

Nico Anklam: Stimmt – und eigentlich auch wieder nicht. Denn wer wusste schon, dass die große, berühmte Judy Chicago auch ein so großes zeichnerisches Werk geschaffen hat. Das gab es in Deutschland in dieser Übersicht noch nie zu sehen, und dass diese Schau ausgerechnet von Serpentine, einem der wichtigsten Ausstellungshäuser in England, nicht in die anderen großen Hallen in Deutschland, sondern in einer adaptierten Übernahme zu uns in die Kunsthalle Recklinghausen kommt, das ist einer der größten Coups, die wir bisher gelandet haben. 

Wo ist die Verbindung zum diesjährigen Motto der Ruhrfestspiele, „Zweifel und Zusammenhalt“?

Zweifel und Zusammenhalt sind zentral für eine Künstlerin, die nicht nur den Weg für Künstlerinnen mindestens in der westlichen Welt, wenn nicht darüber hinaus geebnet hat und so wichtige Projekte wie das „Womanhouse“ – 1972 war das eines der ersten feministischen Kunstprogramme – gestartet hat, wo es genau darum geht, den Zusammenhalt unter Künstlerinnen zu ermöglichen. Und wir brauchen nur in die aktuelle Politik – nicht nur in den USA – zu schauen, um zu sehen, dass der Zweifel wach zu halten ist, und in dieser Beziehung ist Judy Chicago die beste Wahl fürs Ruhrfestspiele-Motto.

Was ist auf den drei Etagen der Kunsthalle zu sehen?

Über 160 Werke, viele davon sind noch nie in Deutschland zu sehen gewesen. Wir zeigen sie in fünf Kapiteln, farbig unterteilt, eine chromatische Reise quer durch das Haus. Zu sehen sind da ihre Papierarbeiten von Judy Chicago, aber auch Videos aus der kalifornische Wüste und Objekte, die man aus anderen Installationen von ihr kennt. Es ist eine große Chance, die große Künstlerin, die ja schon 88 Jahre alt ist, umfassend zu erleben.

Judy Chicago gilt als Pionierin einer feministischen Kunst, ist das nicht begrifflich schon ein bisschen ein patriarchischer Blickwinkel?

Die Frage beantworte ich ja als Museumsdirektor und nicht als Museumsdirektorin, eigentlich müssten deshalb andere Geschlechter diese Frage beantworten, aber das Wichtige ist doch, Stimmen zu ermöglichen, die nicht gehört wurden, und das hat Judy Chicago immer gemacht. Stimmen, die immer da waren, aber nicht gehört wurden. Wir haben ja schon in unserer Jubiläumsausstellung „75 Jahre Kunsthalle Recklinghausen“ gesehen, dass bereits in den 1950er Jahren ganz tolle Künstlerinnen bei uns ausgestellt hatten, die aber nie angekauft wurden. Das holen wir gerade nach. Mit Judy Chicago haben wir jetzt eine jüdisch-feministische Künstlerin, die aber auch Pyrotechnikerin gelernt hat und in Männerdomänen gearbeitet hat und die jetzt in einem Weltkriegsbunker ausstellt. Da verbindet sich doch Geschichte und Aktualität mit einer Perspektive in die Zukunft.

Der Titel der Ausstellung stammt von einem lange unveröffentlichten Werk namens „Revelations“?

Richtig. Die Ausstellung findet ja in Zusammenarbeit mit der Serpentine in London statt, wo sie zuerst zu sehen war. Ausgangspunkt ist dieses illuminierte Manuskript, ein wunderbares Buch, das auch bei uns zu haben ist, wo Judy Chicago eine Entstehungsgeschichte der Welt entwirft, die einmal nicht aus der Perspektive eines männlichen Gottes geschrieben ist, sondern fragt, was wohl gewesen wäre, wenn Gott eine Frau gewesen wäre.

Text ist ein Merkmal, das in ihrem Werk oft vorkommt?

Stimmt. Aber eigentlich halten sich bei ihr Bilder und Schrift die Waage. Sie hat es immer geschafft, Botschaften auf dem Blatt, aber auch in Räumen zu schaffen.Denken wir nun an den „Feather Room“, den sie in den 1960ern geschaffen hat, das war eines der ersten wichtigen Environments. Der war vor einigen Jahren im Münchner Haus der Kunst noch einmal zu sehen. Es sind also immer auch begehbare Welten, in denen die Botschaft noch einmal als Text unterstrichen wird. 

Judy Chicago, Immolation from the On Fire Suite, 2013/2018; Archival pigment print / Archiv Pigmentdruck © Judy Chicago/Artists Rights Society (ARS), New York; Photo courtesy of Through the Flower Archives

Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden?  Ich denke da an das Projekt, das in enger Zusammenarbeit mit Pussy Riot-Gründungsmitglied Nadya entwickelt wurde.

Meine persönliche Antwort wäre, dass die Welt dann natürlich ein Stück besser wäre. Das Projekt wird auch als Einstieg im Foyer der Kunsthalle zu sehen sein und es ist dort auch als partizipatorisches Projekt angelegt. Jede und jeder ist da eingeladen mitzumachen, da wird dann eine Reihe von Fragen gestellt, und die Antworten werden Teil eines wachsenden internationalen Archivs. Daraus entsteht dann ein Flickstückwerk eines digitalen Kilts, wo die Frage, „Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden?“, weitergesponnen werden kann.

Judy Chicagos „The Dinner Party“ (1974–79) ist aber nicht zu sehen, die bleibt dauerhaft im Centre for Feminist Art im Brooklyn Museum in New York.

Da haben Sie einen meiner größten Träume angesprochen. Wir haben alle bereits im ersten Semester des Kunstgeschichtsstudiums diese Arbeit gesehen, und die hätte natürlich ganz wunderbar in der obersten Etage der Kunsthalle gepasst, aber leider reist die natürlich nicht mehr. Aber der Traum bleibt natürlich, Judy Chicagos „The Dinner Party“ einmal in der Recklinghausener Kunsthalle zu zeigen. 

Judy Chicago: Revelations | 4.5. - 17.8. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35

Interview: Peter Ortmann

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