1970 gründete die Galeristin Inge Baecker (1943-2021) in Bochum eine Galerie für Avantgarde-Kunst. Zu sehen ist nun ihre Sammlung an Werken aus der Fluxus-Bewegung, die die Trennung zwischen Kunst und Leben aufheben wollte.
trailer: Frau Lerch Zajączkowska, vor über 40 Jahren stand der Künstler Wolf Vostell mit seinem Luxuszug am Ümminger See in-Bochum Langendreer. Grund genug für eine Ausstellung zu Fluxus?
Julia Lerch Zajączkowska: Grund genug, aber nicht Anlass für unsere Ausstellung im Kunstmuseum. Das hängt natürlich zusammen, denn der Anlass dieser großen Ausstellung ist, dass der Nachlass der Galeristin Inge Baecker, die in Bochum geboren ist und hier auch ihre erste Galerie eröffnete, nach ihrem Tod zu uns gekommen ist. Es ist ein Konvolut aus fast 400 Arbeiten, die aus diesem Fluxus-Spektrum kommen. Es sind mehr Arbeiten in der Sammlung, aber das ist sozusagen der Ausgangspunkt der Ausstellung. Und Wolf Vostell ist als enger Weggefährte von Inge Becker natürlich auch mit zahlreichen Werken vertreten.
Dass auch Bochum eine Rolle für die Fluxus-Bewegung spielte, wissen heute nur wenige. Anders als in Inge Baeckers Galerie gegenüber ist hier im Museum fast nur osteuropäische Avantgarde gezeigt worden.
Genau. Für Bochum spielt es eine Rolle, für das Museum lange Zeit nicht. Vielleicht lag auch der Fokus woanders. Aber was wir heute würdigen, ist die Arbeit von Inge Baecker als Galeristin. Ich denke, schon als Frau in der damaligen Zeit eine Galerie zu betreiben, war eine Besonderheit, und dass sie auch eine der ersten war, die Avantgardekunst überhaupt im Ruhrgebiet zeigte und sich getraut hat, die Leute im Ruhrgebiet damit zu konfrontieren – und das, wie wir finden, auf eine sehr eigensinnige und nahbare Weise. Denn sie hat eben nicht nur die Galerie betrieben, sie hat dann auch auf Einladung des Managements des damals neuen Bochumer Einkaufszentrums Ruhr Park in Harpen dort Kunst gezeigt. Das war damals das größte Einkaufszentrum Europas und deshalb für viele noch so ein neues Konzept. Um Besucher dahin zu locken, wurde Baecker eingeladen, dortetwas zu machen. Daraus sind diese sechs mittlerweile legendären Bochumer Kunstwochen entstanden. Das ist eben auch hier noch mal die Besonderheit dieser Fluxus-Kunst, die sowieso viel außerhalb der Museen stattfand, Kunst in den Alltag und auf die Straße zu bringen.
Inge Becker hat viel in Bochum gemacht. Irgendwann musste sie die piefige Ruhrstadt aber doch verlassen, oder?
Sie ist irgendwann nach Köln gezogen. Unsere Ausstellung hat nicht den Fokus, Inge Baecker als Person zu präsentieren, sondern ausgehend von ihr und diesen Kunstwerken, die über sie bei uns gelandet sind, eine Ausstellung zu zeigen, die den größeren Bogen zu Fluxus spannt, zu Performancekunst, und zeigt, welches Erbe das ist und was daran eigentlich dem Publikum mitgegeben werden kann. In dem Sinne, dass es bei Fluxus nicht ums Genie und vor allem nicht um das Unikat ging, sondern dass es eben auch viele Werke gibt, die vielmehr flüchtig sind. Auch in dem Sinne, dass es beispielsweise Performances sind, die jeder und jede aufführen darf und kann. Niemand wird dazu gezwungen in der Ausstellung, aber wir geben uns sehr viel Mühe, da Lust drauf zu bekommen. Niemand muss jetzt also Angst haben zu kommen.
Was ist in der Ausstellung zu sehen?
Die Ausstellung findet auf zwei Etagen in unseren Ausstellungsräumen statt. Das ist schon eine Besonderheit, weil das ja nicht bei jeder Ausstellung der Fall ist. Zu sehen sind viele historische Dokumente, Grafiken, natürlich Kunstwerke aus Inge Baeckers Nachlass, aber vor allem auch räumliche Strukturen, begehbare Strukturen, die von zeitgenössischen Künstler:innen aufgebaut werden. Hier sind in Anlehnungen an Werke Neuinterpretationen entwickelt worden, die es heute nicht mehr gibt, die in den 1970er Jahren entstanden sind. So zum Beispiel die Installation „The House of Dust“, das ist eine große Arbeit von Alison Knowles gewesen, eine Künstlerin, die Inge Baecker überhaupt erstmals in Deutschland präsentierte und die international sehr erfolgreich ist. „The House of Dust“ ist eine für diese Ausstellung geschaffene, siebenmal drei Meter große Lehmkonstruktion, in die man hineingehen kann und aus der heraus man die Ausstellung betrachten kann. Dann gibt es viele Videos mit Interviews mit Fluxus-Künstler:innen, die in den 1990er Jahren entstanden sind, als viele noch gelebt haben. Und es gibt noch eine Besonderheit, denn die Ausstellung findet nicht nur im Museum, sondern auch im Außenraum statt.
Charlotte Moormann Cello spielend bei einer Performance während der Bochumer Kunstwochen 1973 auf Nam June Paiks „TV Bed“. Die Frau in dem Pullover, die sich über Moormann beugt ist Inge Baecker. © Hartmut BeifußGibt es in der Ausstellung auch eine Unterscheidung zwischen Fluxus und Neo Dada? Beispielsweise Allan Kaprow war ja eher Neo Dada als Fluxus.
Einzelne Künstler:innen werden in der Ausstellung porträtiert. Und die verschiedenen Einflüsse kommuniziert, weil viele Künstler:innen waren ja in verschiedenen Avantgardeströmungen vertreten. Das wird da schon benannt. Aber es gibt jetzt keine explizite Unterscheidung. Allan Kaprow war zum Beispiel auch einer, der gerade in Bochum große Sachen realisiert hat und deswegen natürlich hier auch mit vertreten ist in der Ausstellung.
Was haben die Neuproduktionen mit der Kunstrichtung der 1950er und 60er Jahre zu tun?
Sicher sind sie inspiriert von diesen Werken – und das auf eine bemerkenswerte Art. Es hat sich natürlich viel verändert, und Fluxus war in den 1960er und 70er Jahren sicherlich etwas anderes, auch, um auf eine Art zu schockieren. Obwohl so etwas wie Wolf Vostells „Kalbende Kuh“ im Kölner Kunstverein würde wahrscheinlich auch heute immer noch Leute schocken. Uns geht es in der Ausstellung nicht darum zu schockieren, sondern zu zeigen, welche Ideen und Konzepte damals in diesem losen Netzwerk Fluxus erdacht wurden. Die hatten ja auch was damit zu tun, dass eigentlich all diese Künstler:innen die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erlebt hatten und eine Art Gesellschaft neu aufbauen wollten. Heute ist die Situation eine andere. Gleichzeitig sind wir auch in Krisen- und Kriegszeiten und das, was die Künstler:innen heute machen, ist generell Praxis. Aber viele sind eben auch wieder weg von dem Genie- und dem Unikat-Gedanken und schaffen Werke, die viele unterschiedliche Sinne ansprechen oder aus Alltagsmaterialien gebaut werden. Also auf eine Art nachhaltig sind, ohne jetzt den mahnenden Zeigefinger dabei hochzuhalten. Da sind, glaube ich, so die Parallelen zu den 1960er Jahren.
Und mit dem begleitenden Aktionsprogramm „Howweeeee“ wird Fluxus in die Gegenwart katapultiert?
Ja, wir haben aus „How we met“ wie die Dadaisten und Fluxus-Künstler:innen uns eben auch ein kleines Wortspiel erlaubt, und „Howweeeee“ betont aber auch den Nonsens des Wortes. Und deswegen haben wir für den Ausstellungsraum im Erdgeschoss ein Aktionsprogramm konzipiert, wo eben zu mehreren Momenten bestimmte Scores, also Handlungsanweisungen von Fluxus-Künstler:innen aktiviert werden, und das nicht nur zu den Veranstaltungen, sondern auch darüber hinaus. Es gibt ein buntes Programm mit unterschiedlichen Schwerpunkten, in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Gruppen. Zum Beispiel werden Studierende der Ruhr Universität regelmäßig hier sein, aus der Szenischen Forschung aber auch eine Studierendengruppe aus Dortmund. Dann arbeiten wir über ein Jahr lang mit verschiedenen Schulklassen zusammen, die im Vorfeld der Ausstellung schon das sogenannte „Radio Gaga“ inszenieren.
Fehlt noch der Stadtspaziergang „Wewweeeeee“, ist das Kunst als Schaufenster-Deko?
„Wewweeeeee“ ist dann die dritte Ableitung des Ausstellungstitels. Als Arbeitstitel hatten wir mal „Werke-Weg“, aber das kam uns zu sperrig vor. Es ist ein Kunst-Spaziergang durch die Stadt und im Prinzip direkt inspiriert von Inge Baeckers Ruhr Park-Wochen. Aber wir wollen jetzt nicht den Kommerz damit feiern, sondern in Anlehnung daran auch an die Orte des Alltags und des Konsums gehen und vielleicht Leute erreichen, die weniger ins Museum kommen.
Gibt es denn auch was im Bochumer Ruhr Park zu sehen?
Leider nein. Es wird darauf verwiesen, aber da hängt keine Kunst wie in den 1970er Jahren.
How We Met | 8.11. - 1.3. | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30
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