Es scheint paradox. Mit Peter Kogler stellt ein Vorreiter der virtuellen, am Computer entworfenen Kunst in Duisburg im Skulpturenmuseum aus, also dort wo es traditionell um „physische“ Wirklichkeit geht. Wo ansonsten die Skulpturen, materiell geschaffen, eine Plastizität besitzen, die nach den Gesetzen der Schwerkraft zu umrunden ist. Die installative Ausstellung von Kogler ist der aktuelle Beitrag der Reihe „Sculpture 21st“ des Lehmbruck Museums in der Glashalle, in die man auch von draußen und auch aus dem Dunkel der Nacht schauen kann. Irgendwie weist diese Konstruktion ja auf den Computermonitor zurück, mit dem bei dem 1959 in Innsbruck geborenen Künstler alles begann.
Im Gespräch erwähnt er, wie sehr ihn der Macintosh-Mikrocomputer, der 1984 auf den Markt kam, beeinflusst hat: Seitdem sind der Computer und im nächsten Schritt das Digitale seine Werkzeuge. Auf der documenta in Kassel 1992 bildeten die schematisierten Darstellungen von Ameisen, die an der Wand und auf der Decke aneinander anschlossen und mit ihrer strengen Organisation an architektonische Grundrisse erinnerten, ein dynamisches labyrinthisches Geflecht. Erst recht spektakulär wirkte 1997 die documenta-Halle, in der sich die Drucke von mächtigen grauen Röhren wie Schlingpflanzen über die riesigen Wände rankten. Koglers Wandgestaltungen zeigen komplexe, unabsehbare Ordnungssysteme, entlehnt dem Innenleben von Computern, aber auch den Nervenbahnen im Gehirn.
Als Ausstellung umfangen sie uns als immersives Ornament ohne Zentrum und Hierarchie. „Die Kunst von Peter Kogler lässt sich vor allem als Antwort auf die Frage verstehen, wie die Unendlichkeit in einem endlichen Kunstraum repräsentiert werden kann“, hat Boris Groys später geschrieben. Fortan jedenfalls war Kogler nicht mehr aus der internationalen Kunst wegzudenken, mit der Struktur aus schwarz-weißen Ameisen als einer Art Kennzeichen. „Die sind ganz gut gealtert“, sagt Kogler heute. Natürlich sind die Ameisen als uralte Wesen der Erdgeschichte auch symbolisch zu verstehen, mit ihrer Intelligenz, Resilienz und Organisation als Stamm.
Ausgehend von diesen Sujets und Fragen hat er seither die technischen und digitalen Entwicklungen in seinem multimedialen Werk mitverfolgt und ihre Analogien zu den Strukturen unseres Lebens herausgearbeitet. In Duisburg ist nun eine Art Werkschau der letzten zwei Jahrzehnte zu sehen, die sich über dem schwarzen Marmor zu einer abstrakten Landschaft zusammenfügt, eingeleitet durch einen betretbaren Kubus. Steht man in ihm, flimmern und flackern Bänder und Licht. Zwischen Spiegelwänden und auf dem Spiegelboden wird jede Bewegung labil und ist auf engstem Raum umso mehr körperlich erlebbar. Die Glashalle wiederum ist durch bedruckte Vorhänge abgetrennt, die sie in Schwingungen versetzen und noch wie Kulissen wirken. Dann weist Kogler auf die Bedeutung des Architektonischen für sein Werk hin, das hier fast bühnenartig inszeniert ist. Das trifft umso mehr zu, wenn man über den QR-Code die Augmented Reality aktiviert und auf dem Smartphone eine Ameise vor den Objekten auftaucht: Allem Anfang wohnt ein Zauber inne – der weit in die Zukunft weist.
Peter Kogler | bis 19.10. | Lehmbruck Museum Duisburg | 0203 283 32 94
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