Es ist nicht das erste Mal. Schon vor einigen Jahren hat Antony Gormley im Lehmbruck Museum Duisburg ausgestellt, und zwar innerhalb der Reihe Sculpture 21st mit der Skulptur „Sublimate XIII“: Zu sehen war eine einzelne Figur in Lebensgröße, zusammengesetzt aus kleinen, versetzt angeordneten Weichstahlblöcken, so dass die Materie in der Glashalle regelrecht durchsichtig wurde. Körper und Raum, Innen und Außen verschmolzen und noch zum Ausdruck psychischer Zustände wurden. Zudem deuteten sich in der flirrenden, in ihren Umrissen unscharfen Gestalt die Systematiken des Digitalen, Virtuellen an. Der Mensch in seiner Überzeitlichkeit, aber auch im Chaos unserer Tage, ist bis heute die zentrale Referenz des britischen Bildhauers.

Das bestätigt jetzt auch die große, retrospektiv angelegte Ausstellung in Duisburg. Und indem diese Skulpturen flach auf dem Boden liegen, sich an die Wand schmiegen und an ihr hängen, stehend ihre Umgebung ertasten und dann wieder als Gruppe auftreten, wird Gormleys intensive Auseinandersetzung mit dem Raum und mit den Gesetzen der Schwerkraft deutlich. Antony Gormley wurde 1950 in London geboren. International bekannt wurde er in den Achtzigerjahren mit lebensgroßen, vom eigenen Körper in Blei abgenommenen Figuren mit stilisiertem Kopf, die verschiedene Posen einnehmen und auch draußen, in der Landschaft platziert sind. Wie weit das Formrepertoire mittlerweile reicht, zeigt sich nun im Lehmbruck Museum. Eindrucksvoll ist ja schon, direkt nach dem Eingang, die frühe Bleifigur „Field“, die mit ihren meterlangen Armen den Raum vermisst, sich dem Betrachter in den Weg stellt und der Vertikalen des Körpers die Horizontale entgegensetzt, die unsere Wahrnehmungsgrenze in der Landschaft definiert. Ein Pendant dazu ist die nächste Skulptur, die zugleich mit einer benachbarten Giacometti-Skulptur aus der Museumssammlung korrespondiert. Nun sitzt der Kopf auf einem ellenlangen Hals, dessen Höhe präzise der zweimaligen Distanz zum Horizont über dem Meer entspricht, also das Bedürfnis thematisiert, über das Wissen, das der Körper ermöglicht, hinauszugehen. In der Wechselausstellungshalle ist dann der Besucher direkt einbezogen, indem er sich zwischen 300 eng zusammenstehenden kantigen Betonstelen durchzwängt, die auf verschiedene Menschen unterschiedlichen Alters bezogen und entsprechend wechselnd hoch sind.
Wilhelm Lehmbruck, Kniende, 1911 | Antony Gormley, SHIFT, 1991, Ausstellung Lehmbruck Museum, Duisburg 2022, © Antony Gormley, Foto: Dejan SaricSöke Dinkla hat im Pressegespräch betont, wie sehr Gormley mit seinen Werken auf die Anlage des Museums, das Elemente der Moderne und Aspekte der Postmoderne verbindet, eingeht, diese kommentiert und analysiert. Das setzt sich noch in seinem pointierten, respektvollem Dialog mit Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) fort, der mit seinen innigen Gesten und Längungen die Skulptur im frühen 20. Jahrhundert erneuert hat. Im Lehmbruck-Trakt reagiert Gormley auf seine Skulpturen, arbeitet deren Intentionen und Intensität heraus und zeigt mit verblüffenden Korrespondenzen, was auch in seinen Werken an Verinnerlichung und Gefühl für die Struktur des Körpers, aber auch an bildhauerischem Instinkt steckt – und dann erkennt man erst recht, was für ein großartiger Künstler Gormley ist.
Gormley / Lehmbruck – Calling on the Body | bis 26.2.23 | Lehmbruck Museum Duisburg | 0203 283 32 94
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