Endlich, nach den Verzögerungen durch Corona, konnten Janet Cardiff und George Bures Miller den Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg 2020 entgegennehmen und ihre Ausstellung hier eröffnen, und bei all dem waren sie noch, wenige Stunden vor dem Heimflug, zu einem Publikumsgespräch bereit – und dann zeigt sich, was für wunderbare, humorvolle Erzähler sie sind: in ihrem über Jahrzehnte eingespielten Dialog, aber auch mit ihren Werken selbst. Berühmt wurden die beiden Kanadier mit ihren Audiowalks und Klanginstallationen, etwa auf einer Waldlichtung in Kassel auf der Documenta 2012. Mit den Waffen der Erzählkunst, mit dem Tonfall der Stimmen, mit Sound und Lautstärke und Geschwindigkeit imaginieren sie feierliche, schräge, aber auch bedrohliche Szenen. Das kennzeichnet ebenso die Installationen, die, in Duisburg ausgestellt, eigene Räume mit Sound, Licht und kinetischen Effekten atmosphärisch verdichten. So richten sich Marionetten auf, spielen Klavier bzw. tanzen zur Musik. Oder ein Schallplattenspieler geht wie von Geisterhand in Betrieb und mit der Musik flackern Spots wie bei einem Konzert. Oder links und rechts von einem Operationsstuhl nehmen metallische Greifarme und scharfe Klingen – wie in Comics – ihre tödliche Arbeit auf und schneiden in den abwesenden Patienten.
Bei anderen Installationen wird der Ausstellungsbesucher selbst zum Akteur und spürt den Klang im Körper. Sound wird zur Skulptur. Das passiert schon bei den antiquierten Telefonen, bei denen die schlaftrunkene Stimme am anderen Ende der Leitung Obsessionen und Erlebnisse flüstert, die „Dreams“ (2007-10). Auch sollte man im Duisburger Museum „the paradies institute“ (2001) betreten, das wie ein Lichtspieltheater funktioniert und mit dessen Mechanismen der Verführung handelt. Hier wie bei vielen der Arbeiten spielt das (reale oder überlieferte) Gedächtnis mit, das wie das Stöbern in Dachkammern – im Unterbewusstsein also – wirkt.
Dazu greifen die Werke aktuelle Fragestellungen auf. In „Escape Room“ (2021) ist in einem verdunkelten Raum – der Werkstatt eines Modellbastlers – eine dystopische Miniatur-Stadtlandschaft ausgebreitet, die an Videospiele erinnert. Die Bauten, Tempel, Hochhäuser sind von Menschen weitgehend entleert, plötzlich tasten Lichter wie die Suchscheinwerfer von Hubschraubern über die Fassaden und werden zu Auslösern von Fluchtgedanken, von Träumen und Albträumen. Der Raum mit seinen tausend Einzelteilen sei im Lockdown entstanden, sagen Cardiff und Miller, mit all der Verunsicherung, aber auch dem Privileg, die Arbeit ganz ohne Ablenkung erstellen zu können – und dann halten sie inne und berichten von den schwierigen Umständen daheim in Kanada mit der kaum erträglichen Hitze in der Landschaft und den Bränden in dieser. Die Endzeitstimmung der Installation beruht auf den Themen der Klimakatastrophe und der Übervölkerung, in der die Technik aus dem Ruder läuft, verbunden mit der Frage, wie die Menschheit mit den Ressourcen der Erde umgeht: Auch davon handeln diese beeindruckenden Werke.
Janet Cardiff & George Bures Miller | bis 14.8. | Lehmbruck Museum Duisburg | 0203 283 32 94
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