Bis weit in den September gibt das Bochumer Rottstr 5 Theater den Ton an. Es spielt als einziges Sprechtheater im Ruhrgebiet auch in den Sommermonaten durch. Möglich wird dies insbesondere durch die lange Laufzeit der einzelnen Produktionen, die wegen des relativ geringen Platzangebots unter dem Brückenbogen der S-Bahnlinie auch Sinn ergeben. Viele Spieltermine in den Sommermonaten Juli, August und manchmal auch September werden dafür ziemlich kurzfristig angesetzt – auch Schauspieler wollen manchmal Urlaub machen. Wir sprachen mit Bühnenchef Hans Dreher.
trailer: Herr Dreher, alle Theatermacher in Bochum sind weg – habt ihr kein Bock auf Urlaub?
Hans Dreher: Ganz so programmatisch ist es zum Glück nicht. Wir sorgen dafür, dass jeder mal weg kann und ich war ganz unverschämt mit meiner Frau schon für ein paar Wochen im Urlaub. In diesem Jahr haben wir zusätzlich die Situation, dass unsere Schauspieler so gefragt sind, sodass viele bei diesen großen Sommerfestivals spielen. Deswegen haben wir eigentlich weniger Zugriff auf die Kollegen als in den vergangenen Jahren. Aber die, die hier in Bochum sind, und sei es auch nur für ein paar Wochen oder Tage, die haben Bock zu spielen und die spielen dann natürlich auch. Wir vom Team, also von den festen Mitarbeitern, wir schauen eben, dass wir uns abwechseln können.
Und zudem ein Picknick im Duisburger „Garten der Erinnerung“?
Das ist wirklich geil, dieses Theaterpicknick im Innenhafen. Das ist eine Veranstaltung, an der liegt uns wahnsinnig. Weil das eine der wenigen Möglichkeiten ist, die wir haben, groß und in Freiluft zu spielen. Das passte in diesem Jahr wie der Arsch auf dem Eimer, ausgerechnet im Duisburger Innenhafen die „Odyssee“ (eine Koproduktion mit dem Studiengang Schauspielregie der Essener Folkwang Universität der Künste, die Red.) spielen zu können. Da bin ich den Veranstaltern immer dankbar, dass sie nach ihren Erfahrungen vom letzten Jahr auch dieses Jahr wieder auf uns zurückgreifen wollen und dass wir bei so einer Gelegenheit auch mal die Chance haben, den Schauspielern für die Irrfahrt des Odysseus eine angemessene Bezahlung zu verschaffen.
Der Rotten Summer 2017 hat Abschiede, aber keine Premieren?
Der Rotten Summer hat Abschiede und keine Premieren – bis jetzt! Im August gibt es eine halbe Premiere – ein geiles Stück von Miriam Elia und Sibylle Meyer über „Edward, den Hamster“, der 1990 beschloss sein Rad nicht mehr zu benutzen. Und wenn wir dann mit dem Rotten Summer auch noch in den September gehen – wir haben zumindest vor, das mit der Plakataktion so zu machen – dann haben wir mit „Alice“ Anfang des Monats doch noch eine Premiere.
Die neue Saison beginnt also im Wunderland?
Genau. Aber man muss ja sagen, unsere Saison richtet sich eher nach dem Kalenderjahr, nicht nach den Spielzeiten der Stadttheater. Aber wir läuten natürlich auch die neue Theatersaison mit dem Wunderland ein. Das ist eine „young ’n’ rotten“-Arbeit, die aber eine krasse Bearbeitung von „Alice“ werden wird und deshalb weniger mit Lewis Carroll zu tun haben wird. Das wird eine wilde Mischung aus Philip K. Dicks „Blade Runner“, dem ersten „Matrix“-Film und wie sie alle heißen. Das ist ja ein häufig bearbeiteter Stoff, aber wir haben natürlich vor, ihn uns krass anzueignen.
Was ist sonst noch im Rotten Summer zu erwarten?
Die Produktion „Herz der Finsternis“ wird einer der sehr traurigen Abschiede. Wir spielen unsere Stücke, die wir in technischer Hinsicht alle spielen können, jetzt einfach weiter, auch mit der besonderen Atmosphäre, die bei uns seit 2010 im Sommer herrscht. Kühle Halle, kühles Bier und – immer nach den Vorstellungen – viele Gespräche vor dem Theater.
Manche Termine müssen aber noch organisiert werden?
Richtig. Ganz viele Leute warten noch auf zusätzliche Termine. Der Augustspielplan ist noch nicht ganz vollständig, da werden wir organisatorisch noch ein paar Termine nachkleckern.
Die letzten zwei Wochen im August oder noch länger hat der Rotten Summer im Rottstr 5 Theater Konkurrenz von der RuhrTriennale.
Ich weiß immer nicht, ob das tatsächlich Konkurrenz ist und ob das überhaupt derselbe Menschenkreis ist, der sich dafür und für uns interessiert. Wir haben zumindest im Kampf um unsere Schauspieler Konkurrenz. Ich denke da an Michael Lippold, der auch dieses Jahr im Rahmen des RuhrTriennale-Festivals an einer Dante-Lesung mitwirkt. Aber ich glaube, wir können uns gegenseitig gut dulden und müssen keine Angst haben, uns groß dazwischenzufunken.
Und die Konkurrenz der anderen Stadttheater im Ruhrgebiet? Die fangen ja zum Teil auch schon relativ früh an?
Ja, die fangen früh wieder an, sind aber wohl überwiegend noch in ihrer Proben- und noch nicht in ihrer Vorstellungsphase. Also wir haben meistens mindestens bis Mitte oder sogar bis Ende September noch die Hoheit im Ruhrgebiet, was den Spielplan angeht.
Welchen Vorteil hat man eigentlich, wenn man eine kleine Off-Bühne ist, die in Bochum schon Kultstatus erreicht hat?
Wir können wahnsinnig schnell bearbeiten und reagieren. Das heißt unser Vorteil ist es, wenn uns ein geiles Stück in die Hände fällt oder ein vielversprechender Regisseur oder ein Schauspieler sagt, ok, ich habe jetzt überraschend Zeit, dann können wir das so gut wie immer berücksichtigen und realisieren. Wenn irgendwas mal nicht in Ordnung ist, sei es jetzt weltpolitisch oder lokalpolitisch, dann können wir fix reagieren und öffentlich kundtun, was das ist und wie wir reagieren. Wir können auch schnell produzieren. Wir brauchen selten mehr als einen Monat Probenzeit, auch deshalb, weil wir alles direkt vor Ort haben. Wir müssen nicht aufwendig von der Probebühne auf die Große Bühne ziehen und da auf technische Abteilungen Rücksicht nehmen. Wir können schnell sein, wir können frech sein, wir haben hier alles, was wir brauchen.
Rotten Summer 2017 im Juli, August und September
„Alice“ | So 3.9.(P) 19.30 Uhr | Rottstr 5 Theater, Bochum | 0163 761 50 71
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