Momentan scheinen alle Zukunftsvisionen eher düster zu sein. Hier Armut, Hunger, Verdummung, dort klerikale Faschisten. In dieser Welt wirken die Begriffe „Freude“, „schöner“ und „Götterfunken“ befremdlich. Und doch arbeitet sich Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons genau daran in seiner finalen Spielzeit ab. Schillers „Ode an die Freude“-Zitat ist die inhaltliche Klammer und soll in 41 Produktionen sogar Funken schlagen, „Hoffnung geben“. So richtig lang ist es bis zum Start nicht mehr hin, am 18. August eröffnet die Nobelpreisträgerin Herta Müller das Festival mit einer Rede, bevor Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ in eine eher düstere Musiktheaterwelt und die fürchterliche Einsamkeit entführt. Liebe, Wahn und Tod sind hier in der Neuinszenierung der „ersten Oper der Moderne“ von Krysztof Warlikowski (Regie) und Sylvain Cambreling (musikalische Leitung) die psychischen Antipoden zur Freude.
Einige Projekte waren in den drei Jahren als Trilogie angelegt. Da ist einmal „Hunger“, der dritte Teil von Zolas Romanzyklus „Die Rougon-Macquart“, den der belgische Regisseur Luk Perceval Anfang September uraufführt. Alle drei Teile kann man in diesem Jahr als Elf-Stunden-Marathon in Duisburg hintereinander wegsehen. Das zweite „Theater-Finale“ ist „Kleine Seelen“ in der Gladbecker Maschinenhalle. Ivo van Hove inszeniert zum dritten Mal ein Stück des niederländischen Schriftstellers Louis Couperus, der „Die Bücher der kleinen Seelen“ zwischen 1901 und 1903 geschrieben hat. Inferno, Fegefeuer, Paradies. Auch beim Tanz ist die Dreiheit Programm, die in der Logik von Dantes „Göttlicher Komödie“: Am Ende der Jenseitsreise von US-Choreograf Richard Siegal steht endlich im Essener PACT Zollverein die Erlösung in himmlischen Sphären und die Wiedervereinigung Dantes mit Beatrice, seiner verstorbenen Geliebten.
Aber das Musiktheater prägt die Intendanz des Niederländers, der Ende 2018 das Bochumer Schauspielhaus übernimmt. Simons will dort dann seine Vision eines europäischen Theaters etablieren. In der Bochumer Jahrhunderthalle wird es im August eher experimentell, wenn der Franzose Philippe Manoury sein neues Musiktheaterwerk für SchauspielerInnen, SängerInnen und Musikensemble uraufführt. Textbaustein dafür ist Jelineks „Kein Licht“, die bekannte Szenerie das Innere eines Reaktors. Doch hier wird die Musik selbst zu einem unkontrollierbaren Element. Manoury erarbeitet mit Regisseur Nicolas Stemann eine neue Form, in der vorkomponierte orchestrale und elektronische Partiturmodule kombiniert werden mit Live-Elektronik, die digital und in Echtzeit in die Modulation der ProtagonistInnen eingreift.
„Die Ruhrtriennale ist und bleibt ein Festival der Vielfalt“, sagte Intendant Simons bei der Programmvorstellung bei PACT Zollverein. Er will ein Festival der gemeinsamen Erfahrungen und so sind auch bei der bildenden Kunst eher Installationen im Focus. Joep van Lieshout baut auf dem Vorplatz der Jahrhunderthalle – auch zum dritten Mal – wieder „The Good, the Bad and the Ugly“ auf. Fette Maschinen übernehmen dann dort die Geräuschkulisse und der Niederländer propagiert „The End of Everything“.
Ruhrtriennale | 18.8.-30.9. | diverse Orte | www.ruhrtriennale.de
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