101 Jahre Theater Oberhausen und dann in eine nüchterne Aula? Gymnasialer Charme ohne Getränkebox anstatt sektperliger Pelzatmo in altehrwürdiger Kulturhalle? Nun, während die an diesem Sonntagabend doch recht spärliche Silberhaar-Besetzung nach ihrer Nasenbedeckung und dem richtigen Stuhl im Raum sucht, müht sich die Laienschar da oben auf der Bühne bereits am doch auch spärlichen Requisit ab. Die „Probe“ beginnt mit vielerlei Stanzen, Rita (Anna Polke) soll die Szenen inszenieren – noch hofft man auf die große Bühne im Theater. Kleine Spitzen gegen Ex-Intendant Klaus Weise und seinen teuren Probebühnenbau damals machen die Runde, ansonsten stanzt man sich durch die Stereotypen des Theaterbetriebs mit all seinen langatmigen Diskussionen, dem Für und Wider der eigenen Rolle und dem hierarchischen Gehabe über den Köpfen der Schauspieler.
Das alles wirkt liebevoll echt, scheint aber den Profis doch Mühe zu bereiten – manches wirkt handwerklich zu stelzig. Erster Geist des Theaters ist die milchige Erscheinung des jüdischen Tenors Bitusch (gegoogelt – nix gefunden), der in einem Weinfass im Theater entdeckt worden sein soll, tot versteht sich, und nun als Phantom durch die ehemalige Oberhausener Oper geistert – den Plot sollte man schon mal in einem anderen Zusammenhang gehört haben. Der scheidende Intendant Florian Fiedler gibt sich in „Kohlenstaub und Bühnennebel“ alle Mühe, sein Alter Ego auf der Bühne komödiantisch zu choreografieren, die alten Herrschaften im Saal scheinen die Gags jedoch nicht zu verstehen, fürs Zeitgenössische sind sie wohl zu alt und für die Historie aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts wohl nicht alt genug. Und mal abgesehen von Klaus Weise, Fritzdieter Gerhards, Johannes Lepper und Peter Carp beispielsweise kommen auch nur in einem Halbsatz vor.
Doch das schmälert die Arbeit Fiedlers nicht, aus dem kriegerischen Jahrhundert die richtigen Bonmots herauszudestillieren. Da meldet sich sehr köstlich Daniel Rothaug mit dem Theater Oberhausen en miniature auf dem Kopf zu Wort, aber auch – als zentrale Figur – ein wirrer Peter Handke (Torsten Bauer), der eine Zeit lang als Running Gag auf der Bühne verbleibt, zum Anhimmeln durch die vernebelte Schauspielerschar, aber auch als ewiger, unflätiger Kommentator. Handke wurde quasi in Oberhausen entdeckt, durch Günther Büch, der neben Claus Peymann als der große Förderer des Autors gilt. Insgesamt hat Büch zwölf Inszenierungen mit Stücken Handkes gemacht.
Interessant an diesem Abend war die Entwicklung vom Dreispartenhaus zur echten überregional bedeutenden Oper und deren Niedergang durch die Stadtbürokratie: Schauspiel ist eben billiger als Oper! Nicht, dass das eine Haltung aus der Vergangenheit wäre – es existierten vor nicht allzu langer Zeit noch Pläne von Zusammenlegung, Verkleinerung und Schließung. Stadttheater kostet eben. Da hilft auch kein Theatergeist und keine Tradition mehr. Wie schon vermutet, für die probende Schar wird es keine große Bühne mehr geben, sie reden sich die Aula schön, sehr zur Freude des Intendanten, der sich sowieso mehr um leckende Heizkörper als um Kunst kümmern muss. Die bereits eingeübte Applausordnung ist Tanzchoreografie. Ich schließe mit einem Zitat nach Franz Joseph I.: „Es war sehr schön, es hat uns sehr gefallen.“
Kohlenstaub und Bühnennebel | R: Florian Fiedler | Bertha-von-Suttner-Gymnasium, Oberhausen | 0208 857 81 84
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Tanzschritt mit der verlorenen Zeit
Probenbesuch von „Faster“ am Theater Oberhausen – Bühne 03/23
Aktueller Klassiker
„Der Schimmelreiter“ in Oberhausen
Wenn einem die Natur kommt
„Woyzeck“ am Theater Oberhausen – Auftritt 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
„Geld ist genau das Problem in diesem Bereich“
Maike Bouschen über „Zwei Herren von Real Madrid“ am Theater Oberhausen – Premiere 12/22
„Was ist das eigentlich, was wir Humanismus nennen?“
Kathrin Mädler bringt „Kissyface“ erstmalig auf die Bühne – Premiere 10/22
Die Schandmaske eines Brauchtums
„Karneval“ am Theater Oberhausen – Auftritt 03/22
„Gibt es die Möglichkeit, ein Stereotyp vom Weißsein zu konstruieren?“
Joana Tischkau über Rassismus in der Karnevalskultur – Premiere 01/22
Hausgeister aus der Theatervergangenheit freigelassen
Florian Fiedler im Theater Oberhausen – Prolog 10/21
Glück und Erfolg im Strukturwandel?
Premiere: Nebraska am Theater Oberhausen – Bühne 05/21
Mann gegen Mann
„Im Dickicht der Städte“ am Theater Oberhausen – Prolog 03/21
Polyandrie ist wohl auch keine Lösung
Premiere: „Ursprung der Liebe“ am Theater Oberhausen – Bühne 03/21
Show und Bedeutung
„Nixon in China“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 03/23
Dancing ‘bout my Generation
„Potere“ in Mülheim an der Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/23
Lug und Trug und göttliche Rettung
„Onkel Wanja“, „Orestes“ und „Dantons Tod“ – Prolog 03/23
„Jede Person hat zwei Rollen“
Friederike Heller über „Das Tierreich“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/23
Tanz mit einer toxischen Zwiebel
„Peer Gynt“ am Opernhaus Dortmund – Auftritt 03/23
„Dogville könnte auch Bottrop sein“
Komponist Gordon Kampe über „Dogville“ im Aalto-Theater Essen – Interview 03/23
Betonung auf Wunder
44. Duisburger Akzente – Prolog 02/23
Ein Fest des Gesangs
Verdis „Simon Boccanegra“ in Essen – Bühne 02/23
Das Ende einer Spezies?
„The Very Last Northern White Rhino“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/23
Die weiße Institution Theater
Ta-Nia inszenieren am Theater Dortmund – Prolog 02/23
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater – Bühne 02/23
„Bellini zu spielen ist eine Gratwanderung“
Johannes Erath über „La Sonnambula“ in Düsseldorf – Interview 02/23