Können Sie gut mit sich alleine sein? Bis 2019 hätten wohl viele von uns diese Frage entschieden mit „Ja!“ beantwortet. Nach fast 12 Monaten Pandemie und andauerndem Lockdown dürfte die Antwort weniger enthusiastisch bejaht werden. Allein sein heißt eben nicht nur, endlich mal ungestört ein Buch zu lesen, Stricken zu lernen oder selbst Sauerteigkulturen anzusetzen. Wer lange mit sich allein ist könnte feststellen, dass die eigene Gesellschaft auf Dauer gar nicht mal so nett ist. Der Abgrund, in den wir dort hinein starren, blickt irgendwann zurück. Die Hölle, das sind nicht immer nur die anderen.
Mit menschlichen Abgründen kennt sich auch Regisseur Bert Zander bestens aus. In der Spielzeit 2018/19 verwandelte er mit Dostojewskis „Schuld und Sühne“ einen Klassiker in eine theatrale Filminstallation. Der Solo-Abend um den Schauspieler Christian Bayer als Raskolnikow wurde 2019 beim NRW Theatertreffen als beste Inszenierung ausgezeichnet. Im ersten Lockdown 2020 baute er seine Inszenierung von Albert Camus’ „Die Pest“ am Theater Oberhausen flexibel zu einem neuartigen Theater-/Filmformat um, das als Miniserie auch im TV auf 3Sat lief. Wo anderen die Decke auf den Kopf fällt, hat Zander aus der inneren, von der Pandemie verordneten Klausur neue Kreativität gewonnen.
Mit seiner aktuellen Inszenierung „Innen. Nacht. Geschichten aus der Höhle“ sucht er wieder nach Formen, um Theater auch in kontaktlosen Zeiten ohne physisch anwesendes Publikum sinnlich erfahrbar zu machen. Die Stille, die in der Einsamkeit recht laut werden kann, weiß er dabei produktiv zu nutzen. Mit seinem Ensemble – neben Christian Bayer sind diesmal Torsten Bauer, Clemens Dönicke, Agnes Lampkin, Anna Polke und Luna Schmid vertreten – horcht er in diese Stille hinein, die nur von den eigenen Geschichte erfüllt wird. Das fördert nicht nur eine Bestandsaufnahme der individuellen Vergangenheit zutage, sondern hält Ausschau nach einer Zukunft, einem Ort, einer Utopie, wo ein Licht am Tunnelende aufblitzt. Denn einer Archäologin gleich in den eigenen Hirnwindungen zu buddeln ist temporär gut und schön. Aber irgendwann wollen wir raus aus der Höhle, rein ins Getümmel. Und sei es auch vorerst nur virtuell.
Innen.Nacht. Geschichten aus der Höhle (Premiere) | R: Bert Zander | Sa. 13.3., 21 Uhr (Livestream) | Theater Oberhausen
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
19 neue Standorte
KulturMonitoring in NRW wird ausgeweitet – Theater in NRW 05/25
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Wüste des Vergessens
„Utopia“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/24
„Es ist ein Weg, Menschen ans Theater zu binden“
Regisseurin Anne Verena Freybott über „Der Revisor kommt nach O.“ am Theater Oberhausen – Premiere 06/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
Vom Elvis zum Cowgirl
„The Legend of Georgia McBride“ am Theater Oberhausen – Prolog 02/24
„Die Geschichte wurde lange totgeschwiegen“
Ebru Tartıcı Borchers inszeniert „Serenade für Nadja“ am Theater Oberhausen – Premiere 01/24
Multiple Zukünfte, sinnlos zerstört
„Die Brücke von Mostar“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/23
Antworten, die verschwiegen werden
„And now Hanau“ in einem Oberhausener Ratssaal – Prolog 09/23
Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23
Praktisch plötzlich doof sein
Helge Schneider präsentiert seine neue Tour – Prolog 12/25
Der böse Schein
„Söhne“ in der Moerser Kapelle – Prolog 12/25
Tanzbein und Kriegsbeil
Filmdoku in Düsseldorf: Urban Dance in Kiew – Tanz an der Ruhr 12/25
„Totaler Kulturschock. Aber im positiven Sinn“
Schauspielerin Nina Steils über „Amsterdam“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 12/25
Verlorene Jahre
„The Drop“ am Jungen Schauspiel in Düsseldorf – Prolog 11/25
Kampf, Verlust und Liebe
Vorweihnachtliche Stücke für junges Publikum im Ruhrgebiet – Prolog 11/25
„Jede Inszenierung ist eine Positionierung“
Regisseur Kieran Joel über „Antichristie" am Schauspielhaus Dortmund – Premiere 11/25
Tanz der Randfiguren
„Der Glöckner von Notre-Dame“ in Essen – Tanz an der Ruhr 11/25
Das selbsternannte Volk
„Die Nashörner“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 10/25
Körper und Krieg
„F*cking Future“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 10/25
„Subjektive Wahrnehmung ist verboten“
Regisseurin Jette Steckel über „Das große Heft“ am Bochumer Schauspielhaus – Premiere 10/25
Foltern ohne Reue
„Törleß“ am Bochumer Rottstr 5 Theater – Prolog 10/25
Graf Fridol geht auf Nachtschicht
Musik-Improtheater beim Duisburg Fringe Festival – Festival 09/25