„Dirty Work“ nennen Forced Entertainment ihre neueste Arbeit, die sie auf PACT Zollverein uraufführen. Dabei wirkt nichts am Auftritt der PerformerInnen schmutzig, ganz im Gegenteil. Zwei Darstellerinnen (Cathy Naden, Terry O'Connor) tragen lange Abendkleider, ein Darsteller (Robin Arthur) ein akkurat in die Anzughose gestecktes, türkisen schimmerndes Hemd. Höflich lächelnd nehmen sie auf drei bereitstehenden Stühlen Platz: O'Connor hinter einem Tisch, auf dem ein Plattenspieler steht. Das Setting, in dem die drei mit geradem Rücken sitzen, erinnert an traditionelles Theater: In der alten Waschkaue ist eine kleine Bühne aufgebaut, umrahmt von einem roten Vorhang. Der Boden besteht aus Holzbrettern, eben jene, die in einer fernen Vergangenheit einmal die Welt bedeuten sollten.
Arthur beginnt zu sprechen. Er berichtet vom ersten Akt eines Theaterabends. In seiner Beschreibung gibt es Explosionen auf der Bühne, wilder als es jede Pyrotechnik bisher zugelassen hätte. Er erzählt, wie ein Mann seine bloßen Hände in echte Flammen hält und wie ein Chirurg vor den Augen des Publikums eine Operation durchführt – und zwar nur mit Plastikbesteck. Immer wilder werden seine Ausführungen, dabei bleibt er ruhig auf seinem Stuhl sitzen.
Dann übernimmt Naden das Wort, während O'Connor ohne erkennbare Dramaturgie klassische Musik mit dem Plattenspieler abspielt, die weder stört noch Höhepunkte der Erzählungen unterstützt. Sie beginnt damit, dass eine Gruppe Stripper die imaginierte Bühne stürmt. Sie schildert, wie das Publikum aufgrund der offensiven Darbietung ausrastet, wie Frauen sich empören und Kinder hastig aus dem Saal gebracht werden. Außerdem Teil der fiktiven Inszenierung: die Umstände wie Kennedy, Lincoln und Mussolini zu Tode gekommen sind. Spätestens wenn Naden berichtet, wie einem Kind auf der Bühne seine Eiscreme auf den Boden fällt und dem erfundenen Publikum deswegen der Atem stockt, dämmert auch den Letzten im „echten“ Zuschauerraum auf PACT Zollverein: Mehr wird in den angekündigten 90 Minuten nicht passieren. Das Kopfkino muss für heute Abend reichen, „Shocking, but predictable.“
Durch fünf Akte führen die PerformerInnen und schaffen es immer wieder, das Essener Publikum in ihren Bann zu ziehen oder zum Lachen zu bringen – beispielsweise durch die Beschreibung eines traurigen Zauberers, der den obligatorischen Hasen aus dem Hut zaubert. Oder mit der Rede einer Beauty Queen, die über den Wert von Bildung und Erziehung philosophiert. In der Bühnen-Realität Unzeigbares (das Verwesen einer Leiche), aber auch die größten Banalitäten (ein Junge bringt eine aufgeblasene Papiertüte zum Knallen) werden von ihnen mit gleicher Aufmerksamkeit bedacht.
Theater will alles sein. Es will berühren und verstören. Aufrütteln und unterhalten. Das wahre Leben abbilden und Fiktionen entwerfen. „Dirty Work“ macht sich lustig über den utopischen Anspruch, der an Theaterschaffende gestellt wird und den diese für sich selbst formulieren.
„Forced Entertainment“ wiederstehen dem Drang zum Spektakel, zum „Höher Schneller Weiter“ und gehen selbstbewusst davon aus, dass die DarstellerInnen und ihre Erzählungen ausreichen für einen Theaterabend. Es bleibt die Frage, ob man „Forced Entertainment“ Eitelkeit unterstellen oder ihren Mut loben sollte.
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