Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
30 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12 13

12.606 Beiträge zu
3.829 Filmen im Forum

Pretty Dirty Work auf der Bühne (v.l.n.r: Naden, Arthur, O'Connor)
Foto: Hugo Glendinning

Chirurgische Präzision mit Plastikgabeln

02. Mai 2017

„Dirty Work“ von Forced Entertainment am 29.4. auf PACT Zollverein – Theater Ruhr 05/17

„Dirty Work“ nennen Forced Entertainment ihre neueste Arbeit, die sie auf PACT Zollverein uraufführen. Dabei wirkt nichts am Auftritt der PerformerInnen schmutzig, ganz im Gegenteil. Zwei Darstellerinnen (Cathy Naden, Terry O'Connor) tragen lange Abendkleider, ein Darsteller (Robin Arthur) ein akkurat in die Anzughose gestecktes, türkisen schimmerndes Hemd. Höflich lächelnd nehmen sie auf drei bereitstehenden Stühlen Platz: O'Connor hinter einem Tisch, auf dem ein Plattenspieler steht. Das Setting, in dem die drei mit geradem Rücken sitzen, erinnert an traditionelles Theater: In der alten Waschkaue ist eine kleine Bühne aufgebaut, umrahmt von einem roten Vorhang. Der Boden besteht aus Holzbrettern, eben jene, die in einer fernen Vergangenheit einmal die Welt bedeuten sollten.

Arthur beginnt zu sprechen. Er berichtet vom ersten Akt eines Theaterabends. In seiner Beschreibung gibt es Explosionen auf der Bühne, wilder als es jede Pyrotechnik bisher zugelassen hätte. Er erzählt, wie ein Mann seine bloßen Hände in echte Flammen hält und wie ein Chirurg vor den Augen des Publikums eine Operation durchführt – und zwar nur mit Plastikbesteck. Immer wilder werden seine Ausführungen, dabei bleibt er ruhig auf seinem Stuhl sitzen.

Dann übernimmt Naden das Wort, während O'Connor ohne erkennbare Dramaturgie klassische Musik mit dem Plattenspieler abspielt, die weder stört noch Höhepunkte der Erzählungen unterstützt. Sie beginnt damit, dass eine Gruppe Stripper die imaginierte Bühne stürmt. Sie schildert, wie das Publikum aufgrund der offensiven Darbietung ausrastet, wie Frauen sich empören und Kinder hastig aus dem Saal gebracht werden. Außerdem Teil der fiktiven Inszenierung: die Umstände wie Kennedy, Lincoln und Mussolini zu Tode gekommen sind. Spätestens wenn Naden berichtet, wie einem Kind auf der Bühne seine Eiscreme auf den Boden fällt und dem erfundenen Publikum deswegen der Atem stockt, dämmert auch den Letzten im „echten“ Zuschauerraum auf PACT Zollverein: Mehr wird in den angekündigten 90 Minuten nicht passieren. Das Kopfkino muss für heute Abend reichen, „Shocking, but predictable.“

Durch fünf Akte führen die PerformerInnen und schaffen es immer wieder, das Essener Publikum in ihren Bann zu ziehen oder zum Lachen zu bringen – beispielsweise durch die Beschreibung eines traurigen Zauberers, der den obligatorischen Hasen aus dem Hut zaubert. Oder mit der Rede einer Beauty Queen, die über den Wert von Bildung und Erziehung philosophiert. In der Bühnen-Realität Unzeigbares (das Verwesen einer Leiche), aber auch die größten Banalitäten (ein Junge bringt eine aufgeblasene Papiertüte zum Knallen) werden von ihnen mit gleicher Aufmerksamkeit bedacht.

Theater will alles sein. Es will berühren und verstören. Aufrütteln und unterhalten. Das wahre Leben abbilden und Fiktionen entwerfen. „Dirty Work“ macht sich lustig über den utopischen Anspruch, der an Theaterschaffende gestellt wird und den diese für sich selbst formulieren.

„Forced Entertainment“ wiederstehen dem Drang zum Spektakel, zum „Höher Schneller Weiter“ und gehen selbstbewusst davon aus, dass die DarstellerInnen und ihre Erzählungen ausreichen für einen Theaterabend. Es bleibt die Frage, ob man „Forced Entertainment“ Eitelkeit unterstellen oder ihren Mut loben sollte.

Lisa Kerlin

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

F1 – Der Film

Lesen Sie dazu auch:

Tanzfläche als Kampfarena
Das Summer Battle 2025 in Essen

Tanz als Protest
„Borda“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 06/25

Jenseits des männlichen Blicks
„Mother&Daughters“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 04/25

Baum der Heilung
„Umuko“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 03/25

Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24

Lesen unterm Förderturm
Lit.Ruhr in mehreren Städten – Festival 09/24

Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24

Verzauberung des Alltags
The Düsseldorf Düsterboys in Essen – Musik 07/24

Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24

Fortschritt ohne Imperialismus
„Libya“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/24

Vernetzung und Austausch
Kultur Digital Kongress auf PACT Zollverein – Gesellschaft 10/23

Die Trommel mal ganz vorne
„Schlagzeugmarathon“ in Essen – Improvisierte Musik in NRW 08/23

Bühne.

HINWEIS