Ein Fernseher mittig auf der Bühne ist die einzige Konstante im Spiel der gequälten Geister, die für sich einen Ausweg suchen. Viel mehr ist auch nicht zu sehen am imaginären Hof von König Agamemnon nach dessen Ermordung. Ein paar Geweihe, Trophäen des vergangenen Glanzes, hängen noch herum, manchmal werden sie zärtlich poliert von Königin Klytämnestra (Lisa Balzer). Im Grunde genommen ist das kleine Theater an der Bochumer Rottstraße selbst das immer wieder neu zu bespielende Bühnenbild, das auch locker die verrufenen Katakomben am Mykene-Hof des einst wütenden Monarchen widerspiegelt, quasi den maroden Charme des Niedergangs heraufbeschwört.
Hier inszeniert Kerstin Krug ihre Version vom Hugo von Hofmannsthal-Klassiker, in dem drei Frauen den Geistern in ihren Köpfen freien Lauf lassen müssen, um am Ende an ihnen zugrunde zu gehen. Der Fernseherzeigtdie einst vorhandene heile Welt, eine Art Parallelwelt, die oft auch verhüllt werden muss, um die Erinnerungen nicht übermächtig werden zu lassen. Ursache für den Wahnsinn der Frauen ist der Mord von Klytämnestra an ihrem Gatten, der sie selbst einst brutal aus ihrer Familie gerissen und ihren damaligen Mann und ihren Sohn abgeschlachtet hatte. Tochter Elektra (Theresa Palfi), die den Blutrausch im Badezimmer beobachtete, will nun Rache für ihren Vater; ihre Schwester Chrysothemis (Isabelle Barth) hingegen will nur ein normales Leben. Sie zerreibt sich zusehends zwischen Schwester und Mutter.
Kerstin Krug inszeniert das Psychogramm kammerspielartig, mit ein bisschen zu viel theatralischem Aufwand in den einzelnen Szenen. Das schmälert den interessanten Gesamteindruck nicht, überlagert aber den Text in einigen Passagen. Ihre drei Protagonistinnen hat sie abwechslungsreich choreografiert, alle sind ausgesprochen spielfreudig, lassen sich auch durch klingelnde Handys nicht aus der griechischen Mythologie zerren. Sie sind unfähig, die blutige Vergangenheit zu verarbeiten; das Leiden am Ist-Zustand scheint unabänderlich.
Nachdem Elektra ihrer Mutter Albträume geschickt hat, unter denen diese Nacht für Nacht leidet, scheinen sich ausgerechnet dadurch die Lebensverhältnisse der beiden Schwestern zu verbessern. Klytämnestra bittet um die Hilfe ihrer mit Ritualen vertrauten Tochter, holt sie aus der Isolation der Verstoßung, Chrysothemis biedert sich hoffnungsvoll an. Auch in der Parallelwelt des Fernsehers sind Liebkosungen der drei zu sehen. Doch Elektras letzter Plan, ihre Mutter in den Selbstmord zu treiben, geht nicht auf. Die Situation eskaliert endgültig, als der Tod von Bruder Orest bekannt wird: Klytämnestra sieht lachend den leuchtenden Streifen am Horizont, Elektra verfällt dem Wahnsinn, Chrysothemis geht weg. Hier arbeitet die Inszenierung auch häufig mit seriellen Textpassagen, die einerseits die Brisanz des Gesagten, andererseits aber auch die kausale Wirkung der Informationen erhöhen. Gleichzeitig beginnt die Handlung in der Rottstraße hier, sich langsam von Hugo von Hofmannsthals Geschichte zu entfernen – auch das Sofa im TV ist nun leer, die Familie hat sich endgültig in ihre Bestandteile zerlegt. Das Licht wird noch ein wenig dusterer, als Chrysothemis zurückkehrt, um selbst die Bürde zu tragen: Sie, die das Fürchterliche immer fürchtete, wird zum Racheengel. Elektra kann diese Wendung, die eigentlich all ihre Hoffnungen wahr werden lässt, nicht mehr verarbeiten. Drei Frauen haben sich über den Rand der Psyche hinausgewagt und sind eindrucksvoll gescheitert.
„Elektra“ wird erst im September wieder zu sehen sein, „Kassandra“ unter der Regie von Charlene Markow dafür schon im August. Wie das zusammenpasst? Agamemnon brachte die bekannte Seherin als Geliebte aus dem Trojanischen Krieg mit (so waren die alten Recken eben). Das Stück ist der Prolog zur Rom-Trilogie „TraumaStadt 2013“.
„Elektra“ | Rottstr 5, Bochum | Termine werden noch nachgereicht! | 0163 761 50 71 | www.rottstr5-theater.de
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