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Gegenwartskunst und Erinnerungskultur - ZEITMAUL-Theaterleiter Witek Danielczok, Schauspielerin Maria Wolf und Musikalischer Leiter Serge Corteyn
Foto: Ulrich Schröder

Zwischen Neubeginn und Erinnerung

09. Dezember 2015

Theater ZEITMAUL bespielt Bochumer St.-Vinzenz-Kapelle – bleibt Mosaik-Mahnmal erhalten?

Sieben Jahre Odyssee sind genug: Dank einer Kooperation mit dem Bochumer St. Vinzenz e. V. erhält das Bochumer ZEITMAULtheater eine feste Spielstätte, die am 19. Dezember mit der Premiere des Stücks „Körperlegenden“ eröffnet werden soll und Platz für bis zu 80 Zuschauer bietet. Nachdem der Altar und die Kirchenbänke bereits aus der entweihten Kapelle entfernt und durch Bühne sowie Theaterbestuhlung ersetzt wurden, ist noch die Frage zu klären, ob und wie ein historisches Mosaik erhalten bleiben kann, das die Namen von 65 Kindern enthält, die 1943 bei einem Bombenangriff ums Leben kamen.  

Der künstlerische Leiter des freien Theaters, Witek Danielczok, ist begeistert: Nach Jahren der Heimatlosigkeit hat die 2008 in der Rottstr 5 auf den Plan getretene Theatergruppe mit der Kapelle des Kinderheims St. Vinzenz endlich eine feste Spielstätte gefunden. Glücklich zeigt sich auch Schauspielerin Maria Wolf, dass „so viele Jahre des Nomadentums“ nun hoffentlich dauerhaft beendet sind. Nach Zwischenstationen im Theater der Gezeiten sowie im Thealozzi war das ZEITMAULtheater im März 2015 zuletzt im „Freien Kunstterritorium“ an der Bessemerstraße zuhause, wo jedoch nach nur einmonatiger Nutzung überraschend die Kündigung durch die Stadt Bochum folgte. „Das war eine große Enttäuschung“, blickt Danielczok zurück.

Hinter dem Vorhang das Licht, Foto: Ulrich Schröder

So empfindet er es als „ungeheures Glück“, dass der St. Vinzenz e. V. auf den Theatermacher zukam und eine mietfreie Nutzung der Kapelle anbot. Diese gehörte bislang zum bereits 1887 von katholischen Vinzentinerinnen als Waisenheim gegründeten Haupthaus des Vereins, der sich durch die Umnutzung der Kapelle als Theater-Spielstätte vor allem Synergie-Effekte in der Jugendarbeit erhofft. Zudem hat die Kommune dem durch die Stadtwerke sowie die Sparkasse Bochum geförderten Projekt einen Betriebskostenzuschuss zugesagt.

Wie beim Start des freien Theaters ist auch diesmal wieder der Rottstr-5-Pionier Arne Nobel Teil des Ensembles, wenn mit Danielczoks Stück „Körperlegenden“ am 19. und 29. Dezember in der ehemaligen Kapelle eine „Messe für den menschlichen Körper“ gefeiert werden soll: Das ewige Werden und Vergehen wird dabei multikünstlerisch durch „Schauspiel, Musik, Videosequenzen und Bildende Kunst“ verschmolzen, heißt es in der Ankündigung. Neben zwei Schauspielern, die „die Einzigartigkeit des Körpers“ vor Augen führen sollen, tritt unter musikalischer Leitung von Serge Corteyn auch die eigens gegründete ZEITMAULkapelle auf den Plan.

Künstlerisches Thema sind vor allem zeitgenössische Aspekte der Kulturszene. Neben internationalen Gastspielen geht es um eine Vernetzung der Akteure vor Ort: „Wir wollen auch mit Künstlern aus Bochum zusammenarbeiten“, verspricht Danielczok. Hierbei soll die ehemalige Kapelle des St. Vinzenz e. V., wo bis vor Kurzem noch monatliche Gottesdienste der rumänischen Probst-Ludwig-Gemeinde stattfanden, auch als Ausstellungsraum genutzt werden. Bei der Auswahl der inszenierten Stücke, die bislang zumeist aus der Feder von Witek Danielczok selbst stammen, ist das einzige verbindliche Auswahlkriterium, dass diese von einem noch lebenden Autoren geschrieben sein müssen. Im Januar 2016 sollen vier bis fünf Vorstellungen in der neuen Spielstätte stattfinden. Wenn der Spielbetrieb im Laufe des Jahres allmählich ausgedehnt wird, kommen auch frühere Inszenierungen des ZEITMAULtheaters wie „Fluchtshow“ und „Lilith“ zum Zuge.

„Das Wichtigste war die Fluchttür“, berichtet Danielczok von den Umbaumaßnahmen, die nötig waren, um die Kapelle in ein Theater zu verwandeln. Das kunstvoll gestaltete Glasfenster unweit des neuen Notausgangs ist inzwischen durch einen Vorhang verhängt. Am aufwendigsten sei es gewesen, den monumentalen Altar dort herauszubekommen, wo sich nun die Bühne befindet. Insbesondere bei der Wiederaufnahme des biblische Motive aufgreifenden Stücks „Lilith“ verspricht der Theatermacher, die Kapelle als ehemals sakralen Raum besonders zu nutzen. Auch die im Gebäude verbleibende Kirchenorgel soll 2016 musikalisch in das eine oder andere Stück integriert werden, kündigt der musikalische Leiter der ZEITMAULkapelle Serge Corteyn an.

Unklar ist indessen, ob ein historisch wie künstlerisch bedeutsames Mosaik gerettet werden kann, das sich im Durchgangsbereich zwischen der ehemaligen Kapelle und dem Haupthaus des St. Vinzenz e. V. befindet. Derzeit werde nach kreativen Lösungen gesucht, um das Mosaik zu bewahren, das die Namen der Opfer eines Luftangriffs vom 26. Juni 1943 aufführt. Zum Zeitpunkt des Bombardements hatten sich 104 Kinder im Luftschutzkeller des Kinderheims befunden und wurden verschüttet. 65 von ihnen sowie sieben Erwachsene kamen dabei ums Leben. Schauspielerin Maria Wolf befürchtet, dass das Mosaik den aktuellen Umbauarbeiten zum Opfer fallen könnte und lediglich „dokumentiert“ werde, bevor es „leider wegkäme“. Bautechnisch geht es zwecks Einrichtung von Toilettenanlagen um einen eventuellen Wanddurchbruch just an jener Stelle, wo sich derzeit das Mosaik mit den Namen der Kriegsopfer befindet.

Unbedingt erhaltenswert: Die Namen der Opfer des Bombenangriffs im Juni 1943, Foto: Ulrich Schröder

Diplom-Pädagogin Petra Funke, Einrichtungsleiterin des St. Vinzenz e. V., versichert hingegen: „Baulich ist da noch nichts entschieden. Uns ist die Wichtigkeit dieses Mosaiks als Mahnmal und Kunstwerk durchaus bewusst.“ Der eingetragene Verein ist Träger von momentan insgesamt acht Häusern in Bochum, wo im Rahmen der städtischen Jugendhilfe derzeit über 80 Kinder stationär betreut werden, die in ihrem bisherigen Umfeld nicht mehr leben können. Doch es gilt nicht nur, für die Lebenden Verantwortung zu tragen, sondern auch die Erinnerung für die Zukunft zu erhalten: „Wir werden auf jeden Fall alles tun, um dies zu bewahren“, betont Petra Funke hinsichtlich des künstlerischen Mahnmals, das bis heute im Fokus historischer Stadtführungen steht. „Es ist wichtig, dies für die Nachwelt zu erhalten“, so die Einrichtungsleiterin. Alles andere würde dem Anliegen des ZEITMAULtheaters einen Bärendienst erweisen – denn die künstlerisch akzentuierte Gegenwart wird eben auch von einer lebendigen Erinnerungskultur geprägt, um die Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten. 

Ulrich Schröder

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