trailer: Herr Pfost, wie kann man als Westfale überhaupt einen liebevollen Blick auf den Gardetanz als Teil der Düsseldorfer Karnevalstradition werfen?
Haiko Pfost: Das können Sie vielleicht gar nicht. Im vergangenen Jahr haben wir die Impulse mit „Dorf Theater“ eröffnet – einer Produktion, die aus einem Forschungsprojekt in der ländlichen Schweiz hervorgegangen ist. Die Konfrontation lag darin, dass wir sehr viele internationale Performances oder globale Performancesprachen kennen, sodass es meist kein Problem darstellt, etwas aus New York oder Tokio zu sehen, aber sobald ich mich 50 km weit aus Zürich herausbegebe und in einem Dorf lande, dann ist die Wahrnehmung plötzlich eine ganz andere. Das ist viel fremder als das, was wir in unserer Szene so kennen. Das hat mich nun auch am Gardetanz interessiert, der oft als Unterhaltung und nicht-künstlerisch abgetan wird. Ich habe von Reut Shemesh, das ist die Choreografin mit der wir den Eröffnungsabend gestalten, einen kleinen Try Out gesehen und fand es sehr interessant, wie da wieder zwei Welten aufeinandertreffen. Und wie sich durch eine zeitgenössische Choreografin und ihren eigenen Blick auf die traditionelle Unterhaltung in „Witness“ – so heißt die Arbeit – das Bewegungsmaterial verändert. Und sie transformiert das wirklich liebevoll. Vielleicht geht das nur, wenn man nicht aus Westfalen kommt, sondern aus Israel.
Was sind denn die brennenden Fragen unserer Zeit verknüpft mit einem lokalen Kontext? Blockieren immer noch zu viele Asylanten in Köln die Fahrradwege?
Genau… (lacht) Die brennenden Fragen unserer Zeit suchen wir in unserem Stadtprojekt. Es ist mein zweites Jahr und ich habe zwar immer noch meinen Blick von außen, aber der ist nicht mehr ganz so frisch wie zu der Zeit, wo ich hier angekommen bin. Über Köln haben mir Leute Geschichten erzählt, wie gefährlich es dort inzwischen sei, obwohl sie dort gar nicht leben. Und dann bin ich nach Köln gefahren und habe gefragt, was hat sich denn hier verändert seit der Silvesternacht, was anders wahrgenommen wird. Die Kölner haben wiederum gesagt, dass dies überhaupt nicht so sei, ganz schlimm wäre es zum Beispiel in Düsseldorf. Die Projektion war also immer auf den anderen. Mit dem Projekt „Angstraum Köln“ wollen wir die Narrative untersuchen – wie sind die eigentlich entstanden. Und wir haben uns vier Hauptnarrativen zugewandt: Islam, Prostitution, die Angst vor nicht weißen Männern und Drogen. Die sind jeweils mit Orten verbunden, die aufgeladen sind. Wir haben den Hauptbahnhof, den Neumarkt, mit den Drogenproblemen. Die Prostitution ist ein Sonderfall, denn da hat es eine örtliche Verschiebung gegeben: Anfang der Nullerjahre wurde die Innenstadt zum Sperrgebiet erklärt, stattdessen gibt es am Stadtrand einen von der Stadt betriebenen Platz zur „Verrichtung“ der Sexarbeit, eine Verrichtungsarchitektur. Und zum Islam: Vor dem Bau der großen Moschee gab es lange die Vorwürfe, dass das alles Hinterhofmoscheen seien, und plötzlich war das Gebäude da. Auf die Felder werden Ängste übertragen und die Ängste werden in der Regel über Medien dramatisiert. Eigentlich ist es ja Aufgabe des Theaters, Dinge zu dramatisieren. Aber das hat sich sehr stark verschoben. Wir können eigentlich nichts mehr dramatisieren. Das Theater und besonders das Freie ist deshalb für mich immer mehr das kleine gallische Dorf, wenn es darum geht, solche Themen aufzugreifen und den überhitzen Debatten andere Narrative entgegenzusetzen.
Kommen wir zu einer der beiden Akademien in Mülheim am der Ruhr. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Wen soll das in der Akademie „Kunst unter Druck“ denn noch beeindrucken?
Bei uns heißt es: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Wir haben versucht, das unter drei Perspektiven zu untersuchen: Am ersten Tag der Akademie geht es um den zunehmenden Rechtsruck – welche Methoden da angewandt werden und wie unsere Szene sich dagegen wehrt. Es steht immer die Frage im Raum, welche Mechanismen man wirklich brechen kann und wie man wirksam wird, über die Szene hinaus. Am zweiten Tag diskutieren wir Fragen nach unserer Selbstverantwortung als Theatermacher*innen, Veranstalter*innen oder Künstler*innen. Wir müssen kritisch hinterfragen, was wir auf Bühnen zeigen und sagen wollen und was nicht. Und gleichzeitig muss man sich fragen, inwieweit man dadurch seine eigene Kunstfreiheit einschränkt. Denn Druck wird von vielen Seiten ausgeübt. Aber wer kann überhaupt das Privileg der Kunstfreiheit genießen? Am dritten Tag geht es dann um das angesprochene Motto: „Wes Brot ich ess“. Natürlich sind wir auf Fördergelder angewiesen und stehen in Abhängigkeiten. Da schauen wir auch, welche internationale Perspektiven es gibt und wie es woanders ausschaut. Wir haben das Goethe Institut und die Bundeszentrale für politische Bildung dafür als Kooperationspartner gewinnen können, was uns ermöglicht hat zehn internationale Gäste einladen zu können, die ihre Perspektiven auf Freiheit mitbringen – und die sind sehr unterschiedlich. Wir wissen nicht, was dabei rauskommt. Und ich bin selber oft sehr ratlos, wie ich mit bestimmten Fragen umgehe. Und deswegen glaube ich auch nicht, dass es eine einfache Antwort geben wird. Es ist ein absolutes Privileg zu entscheiden, was auf Bühnen stattfindet und – und das ist mir auch erst sehr spät aufgefallen – dass es dafür so erstaunlich wenig Bewusstsein gibt, gerade in der Theaterszene. Die Freie Szene war doch immer ein Vorreiterin, die versucht hat die Problematiken aufzugreifen. Daher sind wir da schon weiter und haben uns auch die größten Konflikte selbst eingebrockt. Rechte würden sich ja nie die Frage stellen, ob sie irgendetwas dürfen oder ob es da irgendein Problem gibt.
Impulse Theater Festival | 13. - 23.6. | div. Orte | www.impulsefestival.de
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