Vernissage-Sekt wird auf der Bühne ausgeschenkt und der Schauspieler Edoardo Ripani lädt das Publikum ein, den Kopf durch dieses Fotowand-Guckloch zu stecken: eine Nachahmung des berühmten Bildes, auf dem ein Polizist während des Vietnamkrieges einem Zivilisten in den Kopf schießt. Doch was damals, Ende der 60er-Jahre, noch Schockwellen über die Brutalität im Bürgerkrieg auslöste, bedient an diesem Abend die zeitgenössische Kunst. Krieg als Readymake.
Daher steht Kristien de Proosts Kunstvermittlerin nun mit Kunstblut überströmtem Kleid inmitten des Publikums und wirbt dafür, im Souvenirshop auf der Bühne jene Exponate zu erwerben, die zuvor, in der rund 90 minütigen Inszenierung, zu den Schlüsselrequisiten gehörten: die Skulptur einer Rakete, Original-Kriegstrümmer aus Syrien oder ein Glaskasten, in dem sich Rauch ausbreitet, was spielerisch jene Distanz evozieren soll, mit der westliche Augen die Konflikte im Mittleren Osten wahrnehmen. Und ganz nebenbei lässt sich mit dieser Kunst natürlich noch Geld scheffeln.
Regisseur Julian Hetzel, der bereits mit „The Automated Sniper“ beim letztjährigen Impulse Theater Festival zu Gast war, zeigt in den Kammerspielen des FFT in Düsseldorf eine zeitgenössische Kunst, die Leid und Gewalt schamlos einer Ästhetisierung unterzieht. Das beginnt bereits mit der biblischen Ur-Szene menschlicher Gewalt, die Edoardo Ripani und Geert Belpaeme nachahmen: Oberkörperfrei ringen sie auf der Bühne, schmeißen sich nieder und würgen sich. Damit beginnt schließlich, untermalt vom Electro-Song „Stop Imperialist Stop“ von Atom M, die Performance: Beide vollziehen Gesten der Gewalt, die fast schon zu Ikonen geworden sind: angefangen von Ropert Capas „Fallender Soldat“ aus dem Spanischen Bürgerkrieg, bis hin zum erwähnten Fotos aus Saigon.
Bis schließlich eine Reisegruppe aus SyrerInnen und Afghanen die Bühne betritt. Kristien de Proost führt die Gäste durch die Ausstellung. Dass im eben gesehenen Zweikampf eine Prise Homoerotik, wie es die Kunstliebhaberin bemerkte, steckte, kann diese Gruppe nicht wirklich bestätigen. Genauso ratlos zeigen sich die fünf später, als sie etwa die Skulptur einer Rakete begutachten dürfen. Schön sei diese High-Tech-Waffe dann nicht, das gesteht schließlich auch die Kunstexpertin. Aber doch interessant und kraftvoll.
Metakritisch entblättert Hetzel in „All Inclusive“ die Schattenseiten einer zeitgenössischen Kunst, die Gegenstände ausstellt, die erst durch Gewalt zur Kunstsphäre erhoben werden oder Überbleibsel des realen Grauens sind. Eine Aura, wie es der Kunsttheoretiker Walter Benjamin nannte. Und zwar von Blut, Terror und Tod. Alles zurecht theoretisiert für ein „diverses Publikum“, wie es Kristien de Proosts Kunstvermittlerin rechtfertigt und dabei eine nihilistische memento-mori-Formel hinter herschiebt: „Das Ziel der Kunst ist die Vorbereitung auf den Tod“.
Doch da liegt sie selbst voller Kunstblut auf dem Boden. Denn Hetzel scheut in seiner Inszenierung nicht das Plakative (das bei politischem Theater auch legitim ist) und lässt de Proost Todesmeldungen aus Kriegsregionen ins Mikro sagen. Diese Meldungen verwandeln sich in musikalische Klänge und ergeben eine Electrosoundteppich, der zum Zappeln einlädt. Doch die Mikros werden wie Waffen auf die Ausstellungsführerin gerichtet. Laute Gewehrsalven scheppern, Kunstblut spritzt auf die Leinwand und zaubert aus dieser ein authentisches Beispiel von Action Painting. Die Anklage von Hetzels Kunst-Groteske hat nach diesem Krawall-Finale sicher jeder verstanden. Ohne anschließend noch als fiktive Kunst-Konsumenten die Bühne zu betreten.
Impulse Theater Festival 2019 | Düsseldorf, Köln, Mülheim an der Ruhr | bis 23.6. | Impulse Festival
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