Im Anschluss an die Pandemie widmet sich das Festival in Düsseldorf, Köln und Mülheim/Ruhr einer Welt, die nicht zur Ruhe kommt. Ein Gespräch über vorübergehende Krisen und bleibende Umbrüche.
trailer: Herr Pfost, die Pandemie scheint vorüber. Welche Spuren hat die bei Ihnen und beim Freien Theater hinterlassen?
Haiko Pfost: Wir erholen uns noch. So ganz wird es mir erst jetzt bewusst, was für ein Einschnitt die Pandemie gerade für die darstellenden Künste war. Ganz persönlich habe ich in meinem Umfeld viele persönliche Krisen und Veränderungen erlebt, die wohl eng mit der Pandemie zusammenhängen. Für das Freie Theater gilt das Gleiche wie für alle anderen Veranstalter:innen: Ohne Publikum fühlt es sich nicht richtig an. Man konnte viele Dinge im Digitalen ausprobieren, aber letztendlich sind wir ein Live-Medium und der direkte Kontakt und das gemeinsame Erleben sind einfach durch nichts anderes zu ersetzten.
Viele beschäftigen sich deshalb mit anderen Tätigkeiten?
Sie meinen, dass dieses Jahr das Thema Arbeit im Zentrum vieler Produktionen steht? Das ist richtig und hat wohl auch damit zu tun, dass sich viele Künstler:innen die Frage, was ihre Arbeit eigentlich wert ist, nochmal anders gestellt haben. Dazu veranstalten wir auch eine Akademie, die nach alternativen Arbeits- und Produktionsbedingungen fragt. Und passenderweise gibt es auch einige von unserer Jury ausgewählte Stücke, die sich mit der Arbeitswelt beschäftigen: Zum Beispiel haben wir eine Produktion, bei der es im Format einer Dinnershow um die harte Arbeit in Gastroküchen geht („Expect a Tiger“). Auch die aus Moldau stammende Nicoleta Esinencu erzählt in einem Sprechkonzert von Menschen aus Osteuropa, die im Westen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. Umfunktionierte Stichsägen und Akkuschrauber schaffen den dazugehörigen Soundteppich.
„Der direkte Kontakt ist durch nichts zu ersetzen“
Es sieht so aus, als ob die Kultur-Förderpolitik der Mächtigen einen zentralen Punkt bei den diesjährigen Impulsen ausmacht?
Das schließt ja an die Frage der Arbeitsbedingungen an. Im Freien Theater sind die meisten Künstler:innen immer noch nicht angestellt und sozial abgesichert, sondern von Förderanträgen abhängig. In der Arbeit „Szenario“ von Jan Philipp Stange & Company wird der Förderantrag zur Vorlage für ein Musical. Die Darsteller:innen singen den „Kosten- und Finanzierungsplan“ sowie ihre persönlichen Kämpfe mit Arbeit, Armut und Selbstverwirklichung. Das Ganze sieht dabei noch aus wie ein verschneites Weihnachtsmärchen. Man glaubt es kaum, aber in „Szenario“ wird eindrücklich beweisen, dass man auch mit Humor und feiner Ironie die Arbeitszusammenhänge in einem neoliberalen System auf die Bühne bringen kann.
… auch über Vergänglichkeit …?
Stimmt, das ist ein anderer thematischer Strang, der sich durchs Festival zieht. Wie gesagt, wir versuchen ja einen Überblick über die Freie Szene zu geben, und tatsächlich ist das Thema Verlust, Vergänglichkeit und Trauer in einigen der gezeigten Arbeiten präsent. Nicht nur bei der Gruppe Henrike Iglesisas, die sich aus einer bewusst jungen Perspektive mit dem Tod, auch dem digitalen, beschäftigt, sondern auch bei „Figuring Age“ von Boglárka Börcsök und Andreas Bolm, die drei mittlerweile verstorbene ungarische Tänzerinnen zum Leben erwecken und damit auch ihre bewegten Biografien zwischen der Freiheit des Modern Dance und der Unterdrückung durch die Ideologien des 20. Jahrhunderts. Mit Erinnerungsarbeit befassen sich auch „Steinerne Gäste“ von Oliver Zahn, ein Monolog über das Nachleben gestürzter Denkmäler und „Magda Toffler“ von Boris Nikitin, der sich damit auseinandersetzt, dass er erst nach dem Tod seiner Großmutter erfuhr, dass sie Jüdin war.
„Kaum ein Thema ist in der Lokalpolitik so umkämpft wie die Verkehrspolitik“
Wie fährt man denn bei Turbo Pascal in einem Autoscooter ohne Autos?
Das ist ja genau die Frage! Kaum ein Thema ist in der Lokalpolitik so umkämpft wie die Verkehrspolitik. Und kaum jemand spielt darin eine so kleine Rolle wie Kinder und Jugendliche. Deshalb wollten wir – wie immer in unseren Stadtprojekten – einen Perspektivwechsel vollziehen und auf Verkehr aus ihrer Sicht blicken. Also nicht nur über den Verkehr der Gegenwart nachdenken, sondern mit ganz viel Action in einem Autoscooter Ideen für den Verkehr von morgen ausprobieren. Wir haben dabei mit vielen lokalen Initiativen gesprochen und es ist ein sehr umkämpfter Raum, gerade in Köln, wo so wenig Platz ist. Wenn Sie jetzt aber glauben, dass alle Kinder und Jugendlichen bei Fridays for Future oder der letzten Generation sind, dann kann ich Sie beruhigen. Bei unseren Workshops mit Schulen wollen immer noch die meisten ein Auto haben. Darum wird es in unserem „Konfrontationsraum“ im Autoscooter bestimmt sehr spannend werden, wer sich letztendlich durchsetzt. Und das wird auch bei jeder Aufführung anders sein.
Die Dramaturgische Gesellschaft diskutiert im Ringlokschuppen über Theater für eine Welt im Schleudergang?
Tatsächlich ist die Dramaturgische Gesellschaft zum ersten Mal bei den Impulsen zu Gast und sie kommt mit großen Fragen nach fundamentalen Veränderungen unseres Zusammenlebens. Sei es ökologisch durch die Klimakrise, den Einschnitten durch den russischen Angriffskrieg oder den zunehmenden Einfluss von KI auf unsere Entscheidungen. Das sind eben keine vorübergehenden Krisen, sondern bleibende Veränderungen, die ineinandergreifend durch ihre Komplexität überfordern. Trotzdem muss das Theater ja gerade versuchen, sich solchen komplexen Themen zu stellen, um Wege zu finden, davon zu erzählen. Deshalb sind auch sehr unterschiedliche Expert:innen wie die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan, der Kultur- und Medienwissenschaftler Felix Stalder („Kultur der Digitalität“), Dániel Kondor vom Wiener Complexity Science Hub oder Vasyl Cherepanyn, der Leiter des Visual Culture Research Center Kyiv und der Kyiv Biennale bei dieser Akademie dabei.
„Ich glaube an die Kunstform, solange sie so nah an Themen dran ist“
Die Zukunft des Freien Theater ist also rosig?
Wenn die Zukunft der Gesellschaft rosig ist, dann wird wohl auch die Zukunft des Freien Theaters rosig sein. Nein im Ernst, eine Glaskugel habe ich nicht, aber ich glaube an die Kunstform, solange sie so nah dran ist, an Themen, die uns etwas angehen wie jetzt beim Impulse Theater Festival. Und solange das Freie Theater eine Balance hält zwischen Konfrontation und Inklusion, Provokation und Vernetzung. Und seine Zweifel behält.
Impulse Theaterfestival | 8. bis 18.6. | Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr | 0202 69 82 72 06
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