Mit „Sad Songs“ geht’s ins neue Jahr. Beileibe kein Omen. Der Start in Essen war erfolgreich. Wenn auch die Fusion mit dem Theater Oberhausen erst einmal vom Tisch ist, wenn auch die wirtschaftliche Lage der Kommunen sich zu bessern scheint, leicht ist die Aufgabe von Christian Tombeil, dem eher stillen Arbeiter im Hintergrund, nicht.
trailer: Herr Tombeil, neues Theater, anderes Publikum. Wie fühlt sich das an?
Christian Tombeil: Ich persönlich bin mit dem Auftakt zufrieden. Ich habe mich sehr über die wahnsinnig starke Resonanz auf den Prinzen von Homburg gefreut. Hier wird konsequent eine Handschrift durchgehalten. Christian Hockenbrink versucht, dieses sperrige Stück sehr leicht zu präsentieren. Das gelingt vor allem mit Jannik Nowak einem wunderbaren Hauptdarsteller, der auch wirklich dieses ganz Junge, Impulsive, Emotionale des Homburg rüberbringt. Dagegen ist Dennis Kellys „Osama der Held“ eine stringente, sehr harte Produktion geworden, in der das schwierige Thema „Gewalt und Lynchjustiz“ aufgrund von Terrorismusangst eine große Rolle spielt. Ich finde es ist ein wahnsinnig toller Ensembleabend geworden, wo erfahrene und auch ganz junge Schauspieler sich zusammen diesem sehr schweren Thema stellen. Ist natürlich schwere Kost, war aber von uns auch ganz bewusst so gewollt. Und Tom Gerbers Solo mit dem unaussprechlichen Titel „Mit dem Kopf schlage ich Nägel in den Boden“ ist laut Presse eben eine kleine Theatersensation geworden. Eric Bogosian, den viele vielleicht aus amerikanischen Serien wie „Miami Vice“ oder „Law and Order“ kennen, hat einen unglaublich scharfen Text über einen Mittvierziger geschrieben, der sozusagen alle Facetten des Lebens erlebt hat.
Das Theater Essen im Kulturhauptstadtjahr. Die fetten Jahre sind vorbei?
Die fetten Jahre sind vorbei. Aber ich habe das auch bei meiner Eröffnungsrede gesagt: Essen war eine Kulturstadt lange vor RUHR.2010. Hier ist ja schon vor zwanzig Jahren die Entscheidung gefallen, aus Zollverein ein großes Denkmal zu machen. Auch die Entscheidung für das Designmuseum hat nichts mit 2010 zu tun. Ich habe selber mit Berthold Beitz zusammengesessen, der hätte so oder so den Folkwang-Neubau gemacht. Also das hat mit der Kulturhauptstadt nur zu tun, dass es eben in diesem Jahr fertig geworden ist. Alle diese Dinge zeigen doch, dass hier eine Entscheidung für kulturelle Standorte unabhängig davon getroffen worden ist. Essen war vor RUHR.2010 eine Kulturhauptstadt und bleibt es auch danach.
Sie inszenieren vorerst nicht. In der ersten Spielzeit lassen Sie junge Regisseure über gesellschaftlichen Protest und verlorene Heimat arbeiten. Ist das ein Statement?
Das ist etwas, was uns sehr interessiert hat. Aber wir haben nicht vier Uraufführungen und deutsche Erstaufführungen auf den Spielplan gesetzt, um uns abzusetzen, sondern weil mein Team und ich, und ich bin ja mit dem Ausstattungsleiter der Älteste, diese Themen wollten, weil die uns einfach interessieren. Beim Projekt „Winterreise“ fragen wir uns, was ist denn eine solche Multikulti-Gesellschaft, so eine Metropolen-Gesellschaft, was ist denn Heimat? Ist Heimat der Ort, wo ich lebe und Geld verdiene, oder ist Heimat nur der Ort, wo ich geboren bin? Ist Heimat der Ort, wo ich liebe, wo ich geliebt werde? Das sind Fragen, bei denen wir auch an die Arbeit von Anselm Weber anknüpfen. Fragen, die durch alle Schichten hindurch die Menschen beschäftigen. Und nur als kleine Randbemerkung: Die Regisseure sind ja nicht alle jung. Also Thomas Krupa zum Beispiel, der mit „Sad Songs“ im Januar kommt, der ist 50, war bei der Expo mit der Produktion „Chroma“ zum Theatertreffen eingeladen, auch Bernarda Horres, die jetzt „Winterreise“ macht, ist nun wirklich keine Jungregisseurin mehr.
Kommen wir noch mal zurück zum „Ende der fetten Jahre“ – einer Theateradaption des gleichnamigen Films („Die fetten Jahre sind vorbei“) von Hans Weingartner, die im Dezember Premiere hat. Was sollen jüngere Zuschauer eigentlich daraus lernen?
Das Spannende an den „Fetten Jahren“ ist, dass es so eine Art Robin Hood-Geschichte ist. Es geht ja gar nicht darum, sich nur zu bereichern, sondern auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, auf die Kluft zwischen Arm und Reich, die ja leider immer größer wird. Und dann kommt da der spannende Moment hinzu, nämlich der Moment, wenn man sozusagen in flagranti erwischt wird und sich die Frage stellt, wie komme ich jetzt raus aus dem, was ich da getan habe. Es ist dann insbesondere die Konfrontation mit dem Älteren, die auch viel mit den Gedanken über Zukunft zu tun hat. Und ob Geld das einzige ist, was glücklich macht? Geht es nicht auch noch um andere Werte, die es zu erhalten gibt, oder was ich von der anderen Generation lernen kann? Also, ich fand immer, dass neben dieser Kriminalgeschichte, die darunter liegt, diese Zwischenmenschlichkeit diesen Film auszeichnet, und ich hoffe, dass wir das dann auch auf der Bühne sehen.
Sie haben Planungssicherheit für zwei Jahre. Ist das Ende der mit Steuergeld finanzierten Kultur in Sicht?
Also, wenn das Ende in Sicht ist, dann müssen die vom Volk gewählten Vertreter das entscheiden. Ich glaube nicht, dass wir schon am Ende sind. Es wäre eine Katastrophe, weil es bei uns am Theater um eine über hundert Jahre gewachsene Tradition geht, die einzigartig ist. Ich finde es halt immer absurd, dass sich die Politik auf der einen Seite damit brüstet, die Theaterlandschaft Deutschlands könnte Weltkulturerbe werden, auf der anderen Seite aber nicht bereit zeigt, zwei Prozent eines Bundeshaushaltes dafür zu investieren. Da kann man ruhig zigtausend Statistiken bemühen. Wir wissen, dass in diesem Land Menschen im dreistelligen Millionenbereich die kulturellen Einrichtungen nutzen. Wenn Politik das nicht ernst nimmt, wird sie auf kurz oder lang den Preis dafür bezahlen.
Ein Satz zum Jahreswechsel.
Mein Wunsch für 2011 ist, dass das Kulturhauptstadtjahr erst der Auftakt war für die kulturelle Vielfalt in der Metropolregion Ruhr, und dass es so weitergeht.
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