Herbert Zangs wäre im vergangenen Jahr 100 geworden. Geschenkt, dass er es mit der Datierung seiner Werke nicht immer genau nahm und sie rückdatierte. Geschenkt auch, dass er seine eigene Kunst wenig pfleglich behandelt hat – dem Ruhm und der Bedeutung seiner Werke hat es zum Glück kaum Abbruch getan. Wenn man in der sorgfältigen, mit ihren Blickachsen klug kuratierten Ausstellung im Emil Schumacher Museum in Hagen sieht, was er alles in seiner Zeit unter widrigen Umständen geschaffen hat, noch dazu mit einer gegenstandsfreien Kunst, die das vertraute Tafelbild erweiterte und sprengte, dann kann man nur respektvoll staunen.
Systematisch und konsequent hat Zangs in den Nachkriegsjahrzehnten ungesichertes Terrain beackert. Rein aus Farbe, Struktur und Rhythmus, mit der Wirkung von Licht und Schatten vermitteln seine meist einfarbigen, besonders die weißen und tiefschwarzen Bilder mit ihren feinen Details, den Graten, Verwischungen und seriellen Wiederholungen Stille und Dynamik zugleich. Zangs verwendet „arme“ Werkstoffe und eigentlich einfache Techniken, abgeleitet aus beiläufigen Handlungen im Alltag. Einen Einblick in seine Kreativität zeigt nun also die Werkschau mit ihrem Schwerpunkt auf den 1950er bis 1970er Jahren.
Herbert Zangs befand sich in diesen Jahrzehnten im Zentrum der Avantgarde. Geboren 1924 in Krefeld, als Pilot im Zweiten Weltkrieg in eine schneeverschneite Landschaft abgestürzt und von diesem Erlebnis in seinem künstlerischen Schaffen geprägt, hat er direkt nach dem Krieg an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und sich mit Joseph Beuys angefreundet. Bereits 1951 reist er nach Paris; später lebt er unter anderem dort und in London und New York. Meist in Kontakt mit den künstlerischen Netzwerken bleibt er lange rastlos, ehe er von 1979 bis zu seinem Tod 2003 wieder in Krefeld ansässig ist. Ein Ausgangspunkt ist für ihn die abstrakt informelle Kunst, die er aus der Perspektive der Zero-Künstler des Rheinlandes reflektiert und reduziert. Er klärt in seinen Werken die Bildfläche, arbeitet mit Wellpappe und Schnüren und nimmt „Verweißungen“ vor, indem er all das mit weißer Farbe überzieht.
Die Malerei selbst ist ihm ein Anliegen, auch wenn er sie sparsam einsetzt. Er experimentiert mit ihrer Substanz und ihrem Auftrag unter Hinzuziehung kalkulierten Zufalls. Dazu arbeitet er in Werkgruppen, die ihre Verfahren im Titel mitteilen und deren Prinzipien er teils später wieder aufgreift oder variiert: die Scheibenwischer-Reihungen (ab 1957), die schwarzen Werkphasen, u.a. mit Ruß (ab 1958), die Anti-Bücher als Materialassemblagen (ab 1974), mit denen er wenig später auf die Documenta eingeladen wird, die Pinselabwicklungen (ab 1979) und die kreisrund konturierten, mit ihren blauen Reflexen plastisch ausformuliert wirkenden Blasenbilder (ab 1980). Wie früh und originell er bereits alleine mit diesen war, bestätigte sich kurioserweise gerade erst in Hagen gegenüber im Osthaus Museum, wo ganz aktuelle Blasenbilder von Jiři Georg Dokoupil ausgestellt waren: Bei Herbert Zangs gab es das aus einer anderen Haltung und Zeit heraus genauso, aber eben Jahrzehnte früher und wohl zum ersten Mal.
Herbert Zangs – Die Realität ist das Fantastische | bis 23.3. | Emil Schumacher Museum Hagen | 02331 207 31 38
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