Die junge Elcim hat die acht Jugendlichen der Aerobic-Truppe fest im Griff. „Du kannst uns so rumkommandieren wie deinen Freund“, frotzelt jemand. Die 16jährige Schülerin quittiert das mit einem hellen Lachen – und zieht ihr Programm durch. Bei einer Rolle rückwärts lässt sie die Gruppe plötzlich im Freeze verharren und spricht, unbeeindruckt vom genervten Stöhnen, ihre Träume für die Zukunft in eine Livekamera: Elcim will ihr Abitur mit Glanzleistung schaffen, eine Ökoorganisation gründen, ein angefangenes Buch zu Ende schreiben und einen Beruf ergreifen. Welchen Beruf, weiß sie noch nicht. Doch ihr humorvoller wie unwiderstehlicher Elan lässt keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit.
Die Atmosphäre auf der Bühne der früheren Comödie Bochum ist locker und entspannt. Regisseur Nuran David Calis probt mit insgesamt 40 Jugendliche zwischen 16 und 27 Jahren „Next Generation – das Stück“. Hervorgegangen ist das Projekt aus neun „Zukunftshäusern“, die im Rahmen von RUHR.2010 Jugendlichen die Möglichkeit geben, mit Kamera, Theater, Tanz und Musik ihre Vorstellungen von einer lebenswerten Zukunft zu formulieren. Aus dem Material arrangiert Calis ein Stück, das drei Grundfragen an die Jugendlichen stellt: Wovon träumst du? Was kannst du? Wo kommst du her? Die Antworten darauf, ob als Text, Musik, Tanz oder Film ausformuliert, stammen durchweg von den Jugendlichen.
Calis spricht vom Ruhrgebiet als einem Zukunftslabor Deutschlands. Zwei Drittel der „Next Generation“-Jugendlichen sind Migranten, der Rest ist deutschstämmig. Fast alle gehen aufs Gymnasium. Nimmt man ihre Berufswünsche wie Arzt, Jurist oder Filmemacher ernst, hat man hier das kommende deutsche Bürgertum auf der Bühne. Nuran David Calis bestätigt, dass die Jugendlichen sich als zukünftige Stützen der Gesellschaft sehen. Als dritte und vierte Migrantengeneration hätten sie sich von den Vorstellungen der Eltern gelöst, ohne die Verbundenheit mit ihnen aufzukündigen. Doch sie möchten keine Opfer mehr sein, die Herkunft nur als Handicap erfahren. „Der gesellschaftliche Pessimismus lässt sich nicht mit dem Optimismus dieser Jugendlichen in Übereinstimmung bringen“, sagt Nuran David Calis.
„Next Generation“ ist ein Großprojekt, das neben dem Stück Projekte der Zukunfts-häuser, einen „Tag der Generationen“ sowie die Installation „Opel – Chronik eines Schicksalsjahres“ mit Portraits von Auszubildenden des Autobauers umfasst. Auf zwei Leinwänden werden Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm von Michael Loeken und Ulrike Franke zu sehen sein. Auch hier dominiert ein zuversichtlicher Zukunftsblick. Doch die jungen Mechatroniker oder Elektroniker seien zurückhaltender als das werdende Bürgertum, sagt Michael Loeken. Sie wollen eine gute Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz, später Familie, Auto, ein Haus. Doch sie wissen zu gut um die letzte Krise, um euphorisch zu sein. Wer einen Blick in die Zukunft dieses Landes wagen will, der sollte sich dieser „Next Generation“ anvertrauen.
„Next Generation – das Stück“: 28.(P)/31.10./3./12./19.11.
„Opel – Chronik eines Schicksalsjahres“: 13.11.
Tag der Generationen mit „Auf der Suche nach dem Gedächtnis des Ruhrgebiets“: 19.11. I alle Veranstaltungen im Schauspielhaus Bochum
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