Lebendig oder tot – die Revolution lebt ewig. Wider des Existenzialismus’. Und das mit Jean-Paul Sartre, oder trotz? Ja, lohnt sich das überhaupt? Oder immer gottlose Freiheit oder am Ende keine? Den Vordenker des Existenzialismus beschäftigte diese Frage lebenslang, dennoch schrieb er Mitte der 1940er Jahre ein deterministisches Drehbuch, in dem die einmal getroffene freie Entscheidung und ihr Resultat revidierbar sein könnten – und darüber, welche Folgen das hätte.
In „Das Spiel ist aus“ haben Ève Charlier und Pierre Dumaine vielleicht eine solche Chance, obwohl beide tot sind. Sie – eine schicke Lady – wird von ihrem Ehemann vergiftet, der ihre Mitgift unterschlagen will und anschließend ihre Schwester aus denselben niederen Gründen umgarnt. Er – Revolutionär – kämpft gegen die Faschisten, wird verraten und auf offener Straße erschossen. Als Geister begegnen sich die zwei an einem Laden voller Totenreich-Beamter in der Languénésie-Gasse und verlieben sich. Schlüsselzitat: „Ich gäbe meine Seele dafür hin, einen Augenblick lang wieder zu leben und mit ihnen zu tanzen“. Gesagt, getan. Die Bürokraten haben einen Fehler gemacht, beide sollten noch gar nicht ins leblose Reich. Also zurück und alles auf Go – und geht das überhaupt?
Im Dortmunder Schauspielstudio will die Regisseurin Azeret Koua den Sartre-Klassiker, der bereits 1947 von Jean Delannoy verfilmt wurde, mit der Frage inszenieren, wofür es sich überhaupt zu leben lohnt. Statt Revolution und Antifa geht es also mehr um, ich zitiere mal: „Bilder von romantischer Liebe und Fragen an die Geschlechterrollen, die in romantischen Komödien zelebriert werden“. Also passiert es. Schnipp, schnapp. Die fehlerhafte Bürokratie dreht am Rad und so werden sie zurück ins Reich der Lebenden geschickt. Aber wie immer bei solchen ungewöhnlichen Mysterien gibt es einen klitzekleinen Rumpelstilzchen-Haken: Nur wenn es ihnen gelingt, sich auch in der „Wirklichkeit“ zu verlieben und sich uneingeschränkt zu vertrauen, dürfen sie dort weiterleben. Aber Sartre wäre nicht Sartre, wenn das so einfach werden sollte. Die Sachzwänge sind schließlich nicht winzig und die Klassenunterschiede eher groß. Wer wissen will, wie sich Ève und Pierre schlagen, der muss in die gelb-schwarze Stadt am Hellweg.
Das Spiel ist aus | R: Azeret Koua | 20. (P), 25., 26.1., 2., 19.2. je 20 Uhr | Schauspielhaus Dortmund | 0231 502 72 22
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