Horrorspezialist Jörg Buttgereit macht das Dortmunder Studio zur Audio-Hölle. Die stirbt langsam im verstaubten 70er-Jahre-Ambiente vor sich hin. Nur noch B-Movies vom Pornoschlachtfestfilmer Dario Winestone (schön schmierig: Ekkehard Freye) werden dort vertont. Der Naturfilm-Spezialist und Geräuschemacher Maximilian Schall (grandios wie immer: Uwe Rohbeck) wird engagiert, Rohmaterial nachzuvertonen und geht beim ersten Anblick der Szenen schockiert in die Knie. Statt stillem Tschilp der Waldvögel, schreien sich hier Folteropfer in dunklen Kellern die Seele aus dem Leib. Buttgereit inszeniert diesmal eine Hommage an die italienischen Giallo-Slasherfilm der 1970er Jahre und an Peter Stricklands Berberian Sound Studio.
Winestone hat aus Kostengründen seine ganze Familie (Caroline Hanke als Ehefrau Janet Lee Curtis, Alexandra Sinelnikova als Tochter Asia und Christian Freund als Sohn Rock – ein Schelm, dem andere Personen einfallen) zum Vertonen eingespannt und macht auch vor der jungen Eva Leone (Marlena Keil) als Mädchen für alles und Schall selbst nicht halt. Auch der muss als lüsterner Zwerg sprechen, stöhnen, lässt dazu die Fledermäuse flattern und zerlegt sichtlich angewidert fürs Massaker einen ganzen Kohlkopf und anderes Gemüse vor dem Richtmikrophon. Der Horror lebt eben auch vom Audio. Nachts schleichen sich dazu noch merkwürdige Gestalten durch das Studio, arme Vögel werden gemeuchelt, eine drastische Wendung am Schluss zerstört das letzte bisschen Normalität. Buttgereit choreografiert das locker mit zwei Türen, kann sich auf seine grandiosen Schauspieler wie immer verlassen. Ohrstöpsel sind nicht nötig!
„Im Studio hört Dich niemand schreien“ | R: Jörg Buttgereit | So 11.11. 18.30 Uhr, Fr 16.11. 20 Uhr | Schauspiel Dortmund, Studio | www.theaterdo.de
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